Terrell Stafford Quartet | 14.05.1999

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Der Jazz hat viele Gesichter. Lachende und traurige, schöne und häßliche, interessante und langweilige. Gerade die vielschichtige Individualität seiner Leitfiguren prägt im wesentlichen dessen Erscheinungsbild. Louis Armstrong zum Beispiel assoziiert man gleich auf Anhieb mit heiterem Swing. Oder Miles Davis: der steht für die klassische Ballade, während Clifford Brown als Synonym für feurigen, temporeichen Bebop gilt.

Das Auffällige dabei: jeder dieser Musikerlegenden verdiente sich seine Lorbeeren auf der Trompete, jeder in einem völlig anderen Kontext, doch irgendwie auf sonderbare Weise eng miteinander verbunden. Wynton Marsalis, der Möchtegern-Star, drängte sich in den vergangenen Jahren gewaltsam in die Rolle einer historischen Klammer seiner Zunft, entlarvte sich dabei aber rasch als kalter, seelenloser Techniker, der allenfalls in kopierten Klischees den schnellen Erfolg sucht. Terrell Stafford, im Rahmen des europaweiten „Rising Star“-Circuits jetzt auch erstmals im Neuburger „Birdland“-Jazzclub zu Gast, verfährt ähnlich, weiß aber längst um die Gefahren solch billiger Retro-Kisten und macht deshalb einen weiten Bogen um sie.

Wer in ein Konzert des 32jährigen Geheimtips der New Yorker Clubszene geht, kann davon ausgehen, niemals mit transkribierten Soli, altbackenen Schunkeltakten oder populistischen Show-Gimmicks konfrontiert zu werden. Obwohl Stafford absolut das Zeug dazu hätte. Er beherrscht sie nämlich alle: Satchmo und seine schwebenden, wabbernden Melodiefetzen mit den glänzenden Shouts („Creole Blues“), Miles mit seiner perfekten dynamischen Balance („Time To Let Go“), Brownie mit seinem lupenreinen, attackierenden Ton („Daahoud“). Sogar Freddie Hubbard könnte er vertreten, Lee Morgans oder Kenny Dorhams Sound mühelos wiederbeleben.

Aber gerade diese immense Palette an Möglichkeiten eröffnet dem eleganten Gentleman die Möglichkeit, sein Genre lebendig zu halten. Stafford weiß genau, was er tut, wenn er Intro und Mittelteil des Edel-Schwofers „Old Devil Moon“ schrill und avantgardistisch aufpeppt, um dann beim Thema wieder im entfesselten Galopp auf die gewohnte Bebop-Schiene zurückzukehren. Auch vor der altehrwürdigen Gospelhymne „Amazing Grace“ macht die zeitgemäße Mutation nicht halt. Bei der Zugabe kommt sie plötzlich als pumpender Shuffle daher, erregend, kernig, eines der spritzigsten Finals, die es im „Birdland“ jemals gab!

Selbst wenn Stafford singt, wirkt das noch irgendwie originell. Die lässige vokale Huldigung an „Jim Jim“, den Szenekauz Manhattans, paßt genauso in den Rahmen dieser originellen Darbietung, wie die gelungene Wahl der Quartettpartner. Kiyosji Kitagawa, ein Bassist mit der Präzision eines Uhrwerks, Jonathan Blake, ein Drummer, der spontan völlig neue, faszinierende Kreuzrhythmen erfinden kann, und Bill Cunliffe, ein famoser Pianist, der aus einer großen inneren Ordnung heraus abenteuerliche Spannungsbögen konstruiert: besser können die Rädchen einer eingespielten Workingband kaum ineinanderlaufen.

Die drei nutzen den von ihrem Leader angebotenen Freiraum weidlich, gestalten und formen ihn nach einem kollektiven Gusto. Nicht Terrell Stafford, der fürwahr komplette Musiker, wirkt in dieser Nähe wie das große, wundersame Chamäleon. Es ist vielmehr die Musik um ihn herum, die sich ständig verändert. Zu einem traditionsbewußten, unterhaltsamen, frischen und vor allem einprägsamen Gesicht des Jazz.