Harry „Sweets“ Edison – The Duke’s Birthday Celebration Tour | 07.05.1999

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wann wird ein Musiker zur Legende? Wenn er, wie Harry „Sweets“ Edison, schon seit 1937 zu den Eckpfeilern des Jazz zählt und sich im Laufe eines langen Künstlerlebens gar den spektakulären Ruf erspielt hat, eine ganze Band mit nur wenigen Trompetenstößen zum swingen zu bringen. Und wann wird die Legende zur bemitleidenswerten Figur? Wenn sie, wie nun im Neuburger „Birdland“, nur mit fremder Hilfe eine Bühne erklimmen kann und dort bei Publikum wie Mitmusikern gleichermaßen beklemmende Gefühle auslöst.

Harry „Sweets“ Edison 1999: das hat nichts mehr gemein mit jenem eleganten älteren Herrn, der noch sieben Jahre zuvor im Neuburger Stadttheater für ein bewegendes Konzert sorgte. Bloß das Programm erinnert daran, daß es sich hier um den einstigen Starsolisten der glamourösen Orchester von Count Basie und Duke Ellington handelt. Inzwischen ist „Sweets“ 83, gebrechlich und krank. Für seine früher so gerühmten, weich dahinfließenden Melodiebögen fehlt die Luft, der Ansatz fällt ihm hörbar schwer, er phrasiert brüchig und verpatzt mitunter gar die Tutti im Satz.

Und dennoch tritt er auf. Warum tut er sich das an? Hätte es nicht gerade einer wie er verdient, von den aus ganz Süddeutschland angereisten Fans als das in Erinnerung behalten zu werden, was er tatsächlich ist, nämlich einer der größten Swingtrompeter aller Zeiten? Unter dem plakativen Aufhänger des 100. Ellington-Geburtstages „The Duke`s Birthday Celebration Tour“ mußte/durfte Edison noch einmal ran, pro Set für zwei Titel, reine Nettospielzeit zirka sieben Minuten. Zum vermeintlichen Revival der großen Zeiten, das in Wirklichkeit doch nur die anderen bestritten: zugegeben virtuos, aber nur ganz selten wirklich originell.

Wie bei den spärlichen Intermezzi der famosen Bluessängerin Etta Jones, die mit erstaunlich elastischer Intonation manche Erinnerung an Billie Holiday wachrief. „Come Sunday“, „Someone To Watch Over Me“ – ihre stimmliche Bandbreite zwischen Zartheit, Sarkasmus, Distanz, Lebenslust und Resignation bildete die Kirsche auf der faden Jubiläumstorte. Die Sahne dazu stifteten die Saxophonisten Houston Person (Tenor) und Red Holloway (Alt), beide eruptive Hotblower reinsten Wasser mit rauchigem Ansatz, dunklem Bluessound, erdigen Linien, satten Growls und berückenden Portamenti. Vom geschmackvollen Pianisten Reggie Moore (jüngst in Ingolstadt als Begleiter von Maxine Weldon) kamen noch ein paar feine Gewürzprisen dazu; das war`s dann aber auch schon an Positivem.

Der ernüchternde Rest: Ellington á la Carte, abgezockt, routiniert mit „Cotton Tail“, „In A Sentimental Mood“ oder „It Don`t Mean A Thing“, ein unsensibler Drummer (Keith Copland), ein weiterer Ex-Adlatus des Duke (Jimmy Woode am Baß) und ein greiser Stargast, der während des Schlußstücks gar einen Schwächeanfall erleidet. Jazz, die ewig junge Kunstform ohne Abnutzungserscheinungen – ein Klischee, das dieser Abend mehr denn je in Frage stellt.