Vorsicht mit den ganzen Superlativen! Wie Springfluten purzeln sie aus einem heraus, wenn der Kopf nicht mehr fassen kann, was das Auge sieht oder das Ohr hört. Enthusiasmus tritt anstelle von exakter Beobachtung, blinde Hörigkeit ersetzt kritische Distanz. Der ideale Nährboden für Manien, vor allem in der Musik, diesem riesigen Supermarkt der Gefühle.
Aber was will man machen, wenn einem die Laune des Augenblicks etwas derart Außergewöhnliches serviert, wie die „Bump The Renaissance Band“ des Schlagzeugers Bobby Previte? Im Neuburger „Birdland“ jedenfalls wußten sie nach dem fulminanten Konzert nicht, wann sie zum letzten Mal Zeuge einer solchen Konstellation am Firmament waren. Fünf Fixsterne des zeitgenössischen Jazz begegnen sich, verschmelzen miteinander, explodieren und hinterlassen eine Nova, deren Schweif bis ans andere Ende der Galaxis leuchtet.
Zuviele Superlative? Und wenn schon! Naturereignis, Gipfeltreffen, Meilenstein – für das, was dieses Quintett während wahrlich verrückter zweieinhalb Stunden an exzentrischen Rhythmusgerüsten, berauschend farbigen Solotürmen und bombenfesten Ensemblefundamenten in den Keller unter der Hofapotheke baute, ist die euphorischste Beschreibung gerade mal gut genug. Das Konglomerat der Superstars aus der New Yorker Downtown-Avantgarde erfindet zwar nicht die Musik neu, aber zumindest die Einstellung dazu: immer am Limit, alle Grenzen niederrennend.
Schon der Opener signalisiert krass den Unterschied. Ein trauriger Blues, durchzogen von dünnen Tupfern impressionistischer Marschmusik und bittersüßen Anklängen von Kurt Weill. Alle Kompositionen stammen aus Prevites Jugend, auch die stürmischen, metrisch konstruierten, höllisch groovenden Dauerbrenner, in der jeder in der Band weidlich seine individuelle Weltklasse rechtfertigt. Ray Anderson beispielsweise, das „Tier“ an der Posaune, schmatzt, glubbert, trieft, kriecht wimmernd in jedes Thema hinein, jongliert virtuos mit Glissandi oder röhrt ungestüm wie eine Herde wilder Elefanten drauflos.
Marty Ehrlich, der exorbitante Tenorsaxophonist mit seinem weiten Spektrum zwischen Radical Jewish Culture, der geschmeidigen Phrasierung eines Booker Ervin oder dem Cry eines Albert Ayler, ist ein anderer Farbtupfer, während der elegante E-Bassist Steve Swallow einen Viersaiter mit wahren Chamäleon-Qualitäten besitzt. Im Satz einem wummernder Funk-Chronometer ähnlich, klingen die Soli bei ihm stets wie aus einer akustischen Konzertgitarre. Und dann noch Wayne Horwitz, der sich bislang ausschließlich als Organist oder Keyboarder profillieren konnte. Diesmal überraschte er als grandioser Pianist, im Stil herrlich monkisch, sperrig, voller ungeheuer swingender, repetitiver Triller, Synkopen und Cluster.
Dazwischen, davor, daneben, darunter: Bobby Previte. Der 38jährige verkörpert derzeit wohl am perfektesten das Leitbild des emanzipierten Drummers. Egal ob Samba („Not Since“), Souljazz („Art For Now“), Avantgarde („Mingus“) oder Rock („Otto The Auto“); der Mann schiebt an, dreht mit ostinaten Figuren unablässig am Rad und integriert sogar das Knarren des Hi-Hat-Gestells in seine kunstvollen Alleingänge. Previte formt mit großer Autorität Musik. Seine Musik, die so brandaktuell ist, daß sie ganze Generationen, Stile, Kulturen zu vereinen weiß und die Menschen, wie in Neuburg, hypnotisiert und auf die Stühle treibt. Wenn Sterne für dieses Konzert zu vergeben wären: es hätte eine ganze Milchstraße verdient.