Dies ist das 233. Konzert der Birdland-Reihe „Art Of Piano“, in dem der clubeigene Bösendorfer-Flügel im Mittelpunkt steht. Etliche gran-diose Pianisten haben ihn bereits bespielt, und der in Tel Aviv geborene und in Los Angeles lebende Tamir Hendelman, diese Weltmacht an 88 Tasten, ist ab sofort einer davon.
Es scheint, als setze sich die in der ersten Hälfte 2022 mit den sensationellen Auftritten von Jacky Terrasson, Emmett Cohen und Craig Taborn von einem Höhepunkt zum nächsten jagende Reihe nahtlos fort. Nun also Hendelman, dem Oscar Peterson, sein erklärtes Vorbild, höchstpersönlich größten Respekt zollte, der nicht nur der heimliche Star des Clayton-Hamilton-Orchestra ist, sondern durchaus auch mal Leute vom Kaliber einer Barbra Streisand oder Natalie Cole begleitet. Wenn Zeit dafür bleibt und er nicht zusammen mit dem Kontrabassisten Alex Frank und dem Schlagzeuger Germain Cornet im eigenen Trio unterwegs ist.
An den Tasten makellos, virtuos, ja magisch, als Komponist eigener Stücke wie „Playground“ und „Babushka“ Erfinder hinreißender Melodien, als Arrangeur sensationell. Es gibt ja etliche Kollegen, die sich Oscar Peterson als persönliches Idol und als Quelle für die eigene Kreaktivität auserwählt haben, und es gibt etliche Jazzmusiker – recht häufig in der Tat Pianisten – , die bereits etablierte Stücke aus der Jazzliteratur neu interpretieren, aber Hendelman’s Art, etwa „On The Street Where You Live“ aus My Fair Lady, Horace Silver’s „The Cape Verdean Blues“, Herb Brown’s „You Stepped Out Of A Dream“ oder gar Maurice Ravel’s Le Tombeau De Couperin“ einen komplett neuen Anzug zu verpassen, ohne den alten wirklich restlos zu entsorgen, verrät echte Meisterschaft.
Plötzlich taucht völlig überraschend an unerwarteter Stelle eine neue harmonische Wendung auf, verläuft ein Stück, das man doch zu kennen glaubte, in eine völlig unvorhersehbare Richtung, wird – wie bei „I’m Getting Sentimental“ ein Big Band-Arrangement ohne jegliche Unwucht in die Trio-Sprache übersetzt. Man ist bei Hendelman vor Überraschungen nie gefeit, bewegt sich jedoch gefühlt immer auf sicherem Terrain. Bereits nach dem zweiten Takt hat er einen am Wickel und lässt einen auch bis zum letzten Akkord nach knapp zwei Stunden und zwei Zugaben nicht mehr los. Er hat hinreißende Balladen im Programm, etwa „Sycamore“ als Andenken an seinen Vater, ist erdverbunden wie bei dem seiner Tochter gewidmeten „Blues For Zoe“, sprüht nur so vor Dynamik, entfacht zusammen mit seiner absolut tighten Band gehörig Druck und hat mächtig Dampf im Kessel. Oder er lässt die Sache auf kleiner aber ungemein heißer Flamme köcheln, je nachdem, was das Stück und die jeweilige Situation erfordern.
Schwachpunkt? Keiner. Er gibt ein Konzert der Superlative an diesem Abend im Birdland, dieser Tamir Hendelman. „Der haut uns heute hier alle aus den Socken“, sagt ein völlig begeisterter Konzertbesucher bereits nach dem ersten Stück. „Ist das nicht der Wahnsinn?“ fragt ein anderer nach der letzten Zugabe. – Nun ja, in wörtlichen Sinne vielleicht nicht. Aber in übertragenem doch ziemlich nah dran.