Tamir Hendelman Trio | 24.09.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Dies ist das 233. Kon­zert der Birdland-Reihe „Art Of Piano“, in dem der clubeigene Bösendorfer-Flü­gel im Mittelpunkt steht. Etliche gran-dio­se Pianisten haben ihn bereits be­spielt, und der in Tel Aviv geborene und in Los Angeles lebende Tamir Hendel­man, diese Weltmacht an 88 Tasten, ist ab sofort einer davon.

Es scheint, als setze sich die in der ers­ten Hälfte 2022 mit den sensationellen Auftritten von Jacky Terrasson, Emmett Cohen und Craig Taborn von einem Hö­hepunkt zum nächsten jagende Reihe nahtlos fort. Nun also Hendelman, dem Oscar Peterson, sein erklärtes Vorbild, höchstpersönlich größten Respekt zollte, der nicht nur der heimliche Star des Clayton-Hamilton-Orchestra ist, sondern durchaus auch mal Leute vom Kaliber einer Barbra Streisand oder Natalie Cole begleitet. Wenn Zeit dafür bleibt und er nicht zusammen mit dem Kontrabassis­ten Alex Frank und dem Schlagzeuger Germain Cornet im eigenen Trio unter­wegs ist.

An den Tasten makellos, virtuos, ja magisch, als Komponist eigener Stücke wie „Playground“ und „Babushka“ Er­finder hinreißender Melodien, als Arran­geur sensationell. Es gibt ja etliche Kol­legen, die sich Oscar Peterson als per­sönliches Idol und als Quelle für die ei­gene Kreaktivität auserwählt haben, und es gibt etliche Jazzmusiker – recht häu­fig in der Tat Pianisten – , die bereits eta­blierte Stücke aus der Jazzliteratur neu interpretieren, aber Hendelman’s Art, etwa „On The Street Where You Live“ aus My Fair Lady, Horace Silver’s „The Cape Verdean Blues“, Herb Brown’s „You Stepped Out Of A Dream“ oder gar Maurice Ravel’s Le Tombeau De Coupe­rin“ einen komplett neuen Anzug zu ver­passen, ohne den alten wirklich restlos zu entsorgen, verrät echte Meisterschaft.

Plötzlich taucht völlig überraschend an unerwarteter Stelle eine neue harmoni­sche Wendung auf, verläuft ein Stück, das man doch zu kennen glaubte, in eine völlig unvorhersehbare Richtung, wird – wie bei „I’m Getting Sentimental“ ein Big Band-Arrangement ohne jegliche Unwucht in die Trio-Sprache übersetzt. Man ist bei Hendelman vor Überra­schungen nie gefeit, bewegt sich jedoch gefühlt immer auf sicherem Terrain. Be­reits nach dem zweiten Takt hat er einen am Wickel und lässt einen auch bis zum letzten Akkord nach knapp zwei Stunden und zwei Zugaben nicht mehr los. Er hat hinreißende Balladen im Programm, etwa „Sycamore“ als Andenken an sei­nen Vater, ist erdverbunden wie bei dem seiner Tochter gewidmeten „Blues For Zoe“, sprüht nur so vor Dynamik, ent­facht zusammen mit seiner absolut tigh­ten Band gehörig Druck und hat mächtig Dampf im Kessel. Oder er lässt die Sa­che auf kleiner aber ungemein heißer Flamme köcheln, je nachdem, was das Stück und die jeweilige Situation erfor­dern.

Schwachpunkt? Keiner. Er gibt ein Konzert der Superlative an diesem Abend im Birdland, dieser Tamir Hen­delman. „Der haut uns heute hier alle aus den Socken“, sagt ein völlig begeisterter Konzertbesucher bereits nach dem ersten Stück. „Ist das nicht der Wahnsinn?“ fragt ein anderer nach der letzten Zuga­be. – Nun ja, in wörtlichen Sinne viel­leicht nicht. Aber in übertragenem doch ziemlich nah dran.