Wie doch der erste Eindruck täuschen kann: Schien es zunächst, es ginge weniger um Melodie, Harmonie und Rhythmus, sondern zuallererst um Sound und Schwingungen sowie deren sanft sich reibende Überlagerungen, stellte sich alsbald eine unbezwingbare rhythmische Kraft ein, vital und energiegeladen, beharrlich und beweglich, mal elegisch, dann wieder eruptiv, immer überraschend und zugleich ungemein stark. Das Konzert von Sylvie Courvoisier und Patricia Brennan bot ein ungemein beeindruckendes Highlight des 14. Birdland Radio Jazz Festivals.
Die Musik von Sylvie Courvoisier am Bösendorfer und Patricia Brennan am Vibraphon scheint zuweilen näher an der Neuen Musik als am klassischen Jazz, wartet indes trotz der Notenblätter in interaktiver Achtsamkeit und empathischer Seelenverwandtschaft mit einem hohen Improvisationsanteil auf. Den nutzen beide in frappanter Virtuosität mit wahren Hummelflügen über vertrackt, verzwackt, oft ungeraden, asymmetrischen Metren. »Rhythimcal hard things«, wie Sylvie Courvoisier nach eine Weile selbst vermerkt.
Talamanti: Verwandt und zugleich gegensätzlich, coincidentia oppositorum, Zusammenfallen der Gegensätze, das ist vielleicht der beste Beitrag, den Musik unserer auseinander fallenden Zeit schenken kann. Im Duo der Schweizer Pianistin Corurvoisier und der mexikanischen Vibraphonistin Brennan zeigt sich, dass Jazz wahrhaftig zur Verständigung beiträgt, wenn Menschen aufeinander hören, sich gegenseitig ernstnehmen, herausfordern in spontaner Unmittelbarkeit und im Dialog zum Konsens finden, gerade auch, indem sie auch Stille auszuhalten wissen.
Klavierklänge, auch aus dem Innern des Bösendorfer Flügels, dessen Saiten auch mal direkt angezupft, gedämpft oder abgedeckt werden, korrelieren, konkurrieren, ergänzen sich mit den schwebenden Sounds des Vibraphons, schaukeln und schwingen sich auf in selten reizvollen Interferenzen, immer getragen und immer wieder auch erdverbunden in perkussivem Touch. Das wirkt zuweilen, wie wenn Kobolde mit Elfen tanzen, burlesk und unberechenbar, leicht und luftig: Unglaublich schöne Momente etwa, wenn Patricia Brennans Vibraphon den Nachhall des Flügels aufnimmt und weiterklingen lässt oder in mystischem Wirbel einen akustischen Sternenhimmel mit milchstraßengleichem Nebelstreif durchzieht.
Dem zupackenden, zugleich ungemein sensibel kultivierten Anschlag Syklvie Courvoisiers ist ein maximaler Sinn für Prägnanz, Klarheit, Transparenz und Leidenschaft zu eigen. Dem entspricht Patricia Brennans so gefühlvolle wie behände Handhabung der Schlegel, sensitiv und entschieden zugleich. Faszinierend dabei, wie präzis sich das Miteinander der beiden sich findet in auf den Punkt aufeinander abgestimmtem Puls auch in den atemberaubendsten Momenten.
Die interaktive Achtsamkeit der beiden ist umso beglückender, je mehr geltungsbesessene Idioten danach greifen, die Welt zu beherrschen und mit ihrem Ego zu dominieren.
Talamanti: Ein Konzert wie eine Reise, die gleichzeitig durch den Regenwald und die Arktis führt, konsequent und sinnlich, klar und klangsatt. Der Radioredakteur ist nicht zu beneiden, der bei begrenzter Sendezeit auswählen muss. Das Konzert wird im Rahmen des 14. Birdland Radio Jazz Festivals am 24.1.25 um 23:05 in BR-Klassik nachzuerleben sein.