„Stream“ feat. Joey Baron | 17.11.2023

Donaukurier | Karl Leitner
 

Das 13. Birdland Radio Jazz Festival biegt in die Zielgerade ein. Das Quintett Stream mit Christophe Schweizer an der Posaune, Sebastian Gille an Tenor- und Sopransaxofon, Flo­rian Weber am Klavier, Jones Wester­gaard am Kontrabass und als Special Guest mit Joey Baron am Schlagzeug ist im Birdland in Neuburg zu Gast, eine Band, die musikalisch dort zuhause ist, wo man als Jazzhörer nur höchst selten oder vielleicht gar nicht hinkommt. Im unwegsamen Gelände zwischen Main­stream und Avantgarde, wobei man Gen­rezuordnungen in diesem Fall am besten aber gleich ganz sein lassen sollte.

Schweizer nennt seine Stücke, die durchaus mal eine Länge von 30 Minu­ten erreichen können „Spontan-Suiten“. Wobei es „seine“ Stücke eigentlich gar nicht sind, sondern eher Kollektivimpro­visationen, zu denen fünf absolute Indi­vidualisten ihre höchst unterschiedlichen Teile beitragen, woraus die Gruppe ge­meinsam Musik entwickelt, die von Joey Baron zusammengehalten wird. Er sitzt wie die Spinne im Netz, hält die Fäden in der Hand, ganz egal, ob er nur ganz sparsame Akzente setzt oder auch mal in die Vollen geht. Schweizer ist als Musi­ker zurückhaltend, steuert Farbtupfer bei, entwickelt subtile, fragile kleine Linien. Ganz im Gegensatz zu seinem Partner an den Saxofonen ist er alles andere als ex­trovertiert. Jener aber um so mehr. Wie ein Vulkan kann er sich kaum im Zaum halten, bricht ein ums andere mal aus, reißt alles mit, auch seine Mitmusiker, angefeuert von Baron am Schlagzeug und unterstützt, angespornt und aufge­hetzt vom flirrenden Spiel des irrlich­ternden Pianisten, der liebend gerne für Verwerfungen aller Art sorgt. Wester­gaards Bass mit holzigem, erdverbunde­nem Ton hält den Kontakt zur Realität, während sich die anderen, jeder für sich, zu zweit, zu dritt oder alle zusammen treiben lassen.

Die Klänge von Stream lassen Assozia­tionen nicht nur zu, sondern beschwören sie geradezu herauf. Man wähnt sich auf Tour mit Barron als Guide, als Navi, da­mit man sich auf weglosem Gebiet unter dem riesigen Himmel, dem weiten Hori­zont, in der sturmumtosten Weite oder in der Stille nicht verliert. Kleine Tippel­schritte, dann wieder weit ausgreifende Siebenmeilenstiefel. Bisweilen kann man sich selbst beim Atmen zuhören, dann wieder sich all der Eindrücke fast nicht erwehren, die da auf einen einströmen. Nichts ist vorhersehbar, nichts darf man voraussetzen, schon gar keine Formel wie etwa die, dass auf die Themenvor­stellung – sofern es sie überhaupt gibt – automatisch die Soli folgen. Kann sein, muss aber nicht. Nur eines ist sicher. Das Gänsehautfeeling, das sich mit fortlau­fender Konzertdauer immer mehr ein­stellt, ganz besonders ab dem Zeitpunkt, als nach der Pause das Quintett anfängt zu pendeln zwischen sich ständig verän­derndem, unzugänglichem Gelände und zumindest spärlich befestigten Wegen. Sich auf den Trip mit dem Ensemble ein­zulassen, mag für manchen ein Wagnis sein, aber eben auch eine Bereicherung für alle, die das Besondere schätzen, weil sie das Alltägliche schon kennen.