Das 13. Birdland Radio Jazz Festival biegt in die Zielgerade ein. Das Quintett Stream mit Christophe Schweizer an der Posaune, Sebastian Gille an Tenor- und Sopransaxofon, Florian Weber am Klavier, Jones Westergaard am Kontrabass und als Special Guest mit Joey Baron am Schlagzeug ist im Birdland in Neuburg zu Gast, eine Band, die musikalisch dort zuhause ist, wo man als Jazzhörer nur höchst selten oder vielleicht gar nicht hinkommt. Im unwegsamen Gelände zwischen Mainstream und Avantgarde, wobei man Genrezuordnungen in diesem Fall am besten aber gleich ganz sein lassen sollte.
Schweizer nennt seine Stücke, die durchaus mal eine Länge von 30 Minuten erreichen können „Spontan-Suiten“. Wobei es „seine“ Stücke eigentlich gar nicht sind, sondern eher Kollektivimprovisationen, zu denen fünf absolute Individualisten ihre höchst unterschiedlichen Teile beitragen, woraus die Gruppe gemeinsam Musik entwickelt, die von Joey Baron zusammengehalten wird. Er sitzt wie die Spinne im Netz, hält die Fäden in der Hand, ganz egal, ob er nur ganz sparsame Akzente setzt oder auch mal in die Vollen geht. Schweizer ist als Musiker zurückhaltend, steuert Farbtupfer bei, entwickelt subtile, fragile kleine Linien. Ganz im Gegensatz zu seinem Partner an den Saxofonen ist er alles andere als extrovertiert. Jener aber um so mehr. Wie ein Vulkan kann er sich kaum im Zaum halten, bricht ein ums andere mal aus, reißt alles mit, auch seine Mitmusiker, angefeuert von Baron am Schlagzeug und unterstützt, angespornt und aufgehetzt vom flirrenden Spiel des irrlichternden Pianisten, der liebend gerne für Verwerfungen aller Art sorgt. Westergaards Bass mit holzigem, erdverbundenem Ton hält den Kontakt zur Realität, während sich die anderen, jeder für sich, zu zweit, zu dritt oder alle zusammen treiben lassen.
Die Klänge von Stream lassen Assoziationen nicht nur zu, sondern beschwören sie geradezu herauf. Man wähnt sich auf Tour mit Barron als Guide, als Navi, damit man sich auf weglosem Gebiet unter dem riesigen Himmel, dem weiten Horizont, in der sturmumtosten Weite oder in der Stille nicht verliert. Kleine Tippelschritte, dann wieder weit ausgreifende Siebenmeilenstiefel. Bisweilen kann man sich selbst beim Atmen zuhören, dann wieder sich all der Eindrücke fast nicht erwehren, die da auf einen einströmen. Nichts ist vorhersehbar, nichts darf man voraussetzen, schon gar keine Formel wie etwa die, dass auf die Themenvorstellung – sofern es sie überhaupt gibt – automatisch die Soli folgen. Kann sein, muss aber nicht. Nur eines ist sicher. Das Gänsehautfeeling, das sich mit fortlaufender Konzertdauer immer mehr einstellt, ganz besonders ab dem Zeitpunkt, als nach der Pause das Quintett anfängt zu pendeln zwischen sich ständig veränderndem, unzugänglichem Gelände und zumindest spärlich befestigten Wegen. Sich auf den Trip mit dem Ensemble einzulassen, mag für manchen ein Wagnis sein, aber eben auch eine Bereicherung für alle, die das Besondere schätzen, weil sie das Alltägliche schon kennen.