Einer gängigen Redewendung nach gelten Propheten im eigenen Land nichts. Das mag oftmals der Wahrheit entsprechen, stimmt jedoch im Falle des Straight Ahead Quartets absolut nicht. Als der Bandleader und Pianist Oliver Wasilesku aus Neuburg, der Schlagzeuger Tom Diewock aus Ingolstadt und die beiden Eichstätter, der Kontrabassist Ulrich Schiekofer und der Altsaxofonist Christof Zoelch, nämlich zum Heimspiel antreten, ist das Birdland bis auf den letzten Platz gefüllt.
Dass zwischen den vier Akteuren auf der Bühne und den mit Fotos an den Wänden des Clubs verewigten Stars des Jazz Welten liegen, versteht sich von selbst. Zwei Dinge jedoch haben sie gemeinsam. Sie alle sind vom Jazz-Bazillus befallen und sie alle nutzen die Freiheiten, die das Genre ihnen bietet, um auszuprobieren, wozu sie gerade Lust haben. Keine Musikform wäre dafür besser geeignet. Im Falle des Straight Ahead Quartets passiert in dieser Hinsicht vor allem im Bereich der Arrangements erstaunlich viel. Thelonious Monk’s „Well You Needn’t“ erhält Funk-Einsprengsel, Duke Ellington’s „Take The A-Train“ kommt im 5/4-Takt daher, ohne dass der darin thematisierte Zug ins Ruckeln käme, und ein Schubert-Lied wird zur Jazznummer, indem die vorgegebene Melodie mit einem wiederkehrenden Basismotiv unterlegt wird und dadurch gehörig an Fahrt aufnimmt.
Der Band geht es sicherlich nicht darum, das Rad neu zu erfinden, aber durchaus darum, sich bei ihren Standard-Adaptionen von denen auch namhafterer Kollegen abzusetzen. Das gelingt bei Dave Brubeck’s „In Your Own Sweet Way“ und bei Nat Adderly’s „Work Song“, aber vortrefflichsten aber bei Sting’s „Fragile“ und Ray Charles‘ „Hallelujah, I Just Love Her So“, beides jazzaffine Stücke, die aber eigentlich aus ganz anderen Ecken kommen. Ersteres ist eines der meist gecoverten Stücke des Pop überhaupt, letzteres ein durch die entfesselte Version von Steve Marriott’s Humble Pie unsterblich gemachter Rhyth’m’Blues-Kracher. Straight Ahead schaffen es tatsächlich, diese Stücke aus einem originellen Blickwinkel heraus zu betrachten. Vermutlich sind diese beiden sogar die allergrößten Treffer im Rahmen des Konzerts, das nach Aussage Wasileskus eine Art „Greatest Hits“-Programm darstellen soll, eine Sammlung von Kompositionen, die der Band im Laufe ihrer Existenz seit 2014 besonders ans Herz gewachsen sind.
Der Abend mit dem Straight Ahead Quartet gehört zur bereits seit langem etablierten Birdland-Reihe „jazz regional“, in der in lockerer Folge qualitativ hochwertige Bands und Interpreten aus der näheren Umgebung vorgestellt werden, sobald sie über ein neu konzipiertes Programm verfügen, ein besonderes Projekt entwickelt haben oder nach längerer Zeit ganz einfach mal „reif“ sind für einen Auftritt im Club. Die Rolle, die das Birdland damit als Förderer des regionalen Jazz einnimmt, ist um so bemerkenswerter, als es hinter jedem Konzerttermin ja durchaus mit namhaften Musikern aus der nationalen und internationalen Szene bestückte Wartelisten gibt. Und wenn eine Band, wie beim Straight Ahead Quartet an diesem Abend der Fall, diese Chance auch weidlich nutzt, geht das Konzept auf überaus erfreuliche Weise auf.