Steve Coleman & Five Elements | 05.10.2010

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Er ist einer der wichtigsten Energie- und Ideenlieferanten des zeitgenössischen Jazz, Repräsentant einer selbstbewusst improvisierenden Kreativität, die längst über die Schreckgespenster der 60er Jahre Avantgarde und des Free Jazz hinaus ist. Der Musik von Steve Coleman & Five Elements liegen ausgefeilte Kompositionen und Arrangements zu Grunde, sie spannt lange Bögen, fliegt dabei weit über den Horizont des Erwartbaren hinaus. Das Gastspiel im Neuburger Birdland ermöglichte ein hochgradig spannendes, konzentriertes und nachhaltiges Musikerlebnis.

Steve Coleman & Five Elements amalgamieren Einflüsse aus der Jazztradition, der Neuen Musik, aus World- und Tribal-Music, aus Ost und West, Nord und Süd, Gestern und Heute zu einer hypnotisch kreativen Mixtur. Die ist an schamanistischen Beschwörungsformeln und Ritualen zuweilen näher dran als an allem, was gemeinhin unter Jazz verstanden wird, obwohl alle Stilmittel des Jazz unverkennbar erkennbar bleiben.

Von faszinierender Sogwirkung ist, was sich da im Tanz der Elemente vollzieht, teils in strenger Formation nahezu ostinater Unisoni, teils im freien Reigen der Teilchen in scheinbarer Auflösung entropischer Aggregatszustände.

Immer wieder löst sich Steve Colemans Altsaxophon zu ausgiebigen unbegleiteten Soli, zu denen die ätherischen Vocals der taiwanesischen Sängerin Jen Shyu einen reizvoll einstimmenden Kontrast bieten.

Ohne Bass und Schlagzeug steht die Band auf der Bühne. Groove und harmonische Basis erschließen sich aus dem Kontext als die Musiker innerlich verbindende Größen, die keiner eigens gespielten Vergewisserung bedürfen, seien die Rhythmen noch so ungerade, die Melodien noch so asymmetrisch. Nahtlos gehen die Stücke ineinander über – im ersten Set völlig ohne Zwischenpause -, nahtlos greifen die Instrumente ineinander.

In frappierender Passgenauigkeit wechseln die Rollen, Ebenen, Sphären und Schattierungen. Dabei gruppieren sich die düsteren Gitarrenklänge von Miles Okazaki, die explosiven Trompetentöne von Jonathan Finlayson und das ausgeklügelte Klavierspiel des Pianisten und Keyboarders David Bryant zumeist um Steve Colemans Saxophon und Shyus Stimme, kulminieren dabei aus einem fast skelettierten Bandsound immer wieder zu kollektiver Kraft und energetischer Intensität.

Das klingt zuweilen wie eine Fortsetzung des Bebop mit ganz anderen Mitteln, wie ein afrikanisches Ritual, wie eine fernöstliche Meditation oder wie ein Rap in den Schluchten moderner Metropolen: Jazz im 21. Jahrhundert, weltumspannend, global, intellektuell und ganz nah am Innersten, jede Sekunde ein Gewinn!