Sternal – Grenadier – Burgwinkel | 13.12.2019

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Neuburg Auf den ersten Eindruck fällt es fast niemandem auf: Das Piano wirkt leiser als sonst, nahezu unverstärkt, schutzlos, quasi ganz auf sich allein gestellt, um gegen die natürliche Urgewalt des Schlagzeugs und die üblicherweise dröhnende Wucht des Basses zu bestehen. Aber ausgerechnet die Männer an den beiden scheinbar übermächtigen Instrumenten verkneifen es sich diesmal, alles niederzuwalzen. Sie dimmen ihre Intensität exakt auf die Lautstärke des Klaviers herunter. So etwas kommt überaus selten vor, auch in einem exklusiven, mit Weltstars nur so gespickten Jazzclub wie dem Neuburger Birdland.

Diesmal steht die 214. Folge der bemerkenswerten Reihe „Art Of Piano“ an, und es wird in der Tat einer der wirklich raren Momente, in denen die Kunst, ein Pianotrio mit Leben zu erfüllen, vom ersten bis zum letzten Ton gelingt. Ausgerechnet ein junger Deutscher, einer, zu dem der Begriff „Shootingstar“ wegen seines bescheidenen, geerdeten Wesens gar nicht passen mag, zeigt, wie es geht. Sebastian Sternal, 36 Jahre jung, und seit gut zehn Jahren im steten Steigflug nicht nur in der nationalen Szene, sondern auch direkt hinein in die Weltklasse, hat schon mit der Auswahl seiner Partner alles richtig gemacht. Im Hofapothekenkeller agieren heute die klassischen Anti-Egos, die trotz berückender Fähigkeiten nie sich selbst, sondern stets das Trio in den Vordergrund stellen – quasi als eigenes Instrument.

Jonas Burgwinkel (38) aus Köln, einer der raffiniertesten, komplexesten und farbigsten Drummer aus deutschen Landen, schafft es, eine Reihe von lebhaften, flirrenden Soli abzuliefern, ohne dabei einen einzigen lauten Schlag zu setzen. Larry Grenadier (53), der Sterne-Bassist aus San Francisco, sturmerprobt an der Seite von Pat Metheny, Brad Mehldau und Joshua Redman, knüpft stabile Linien aus pastellfarbenen, warmen Tönen aneinander, ohne dabei auch nur ein einziges Mal zu wummern. Hier zelebrieren drei Musiker die hohe Kunst der Reduktion; matt schimmernd, intensiv strahlend und geprägt von großer Nachhaltigkeit, immer wieder unterbrochen vom begeisternden Zwischenapplaus im nahezu ausverkauften Kellergewölbe.

Sternal, Burgwinkel und Grenadier agieren dicht beisammen, immer einander zugewandt, egal ob sie nun die spannenden, filmähnlichen Eigenkompositionen des Pianisten oder Standards interpretieren. So beginnt „Winter“ mit einem melancholischen, fast gesungen anmutenden Bass-Intermezzo, während draußen still ein paar Schneeflocken auf das Dach der Hofapotheke fallen. In „Go“ lässt das Trio der harmonischen Entwicklung des Songs freien Lauf, während „Sand“ das Metrum auflöst und einer ganz eigenen freien Rhythmik folgt. „They Way You Look Tonight“ aus dem Great American Songbook spielt Sternals Liebe zum Swing voll in die Karten, wobei sein Flirt mit der Tradition auf angenehme Weise ohne Retro-Allüren auskommt.

Das Beste kommt freilich zum Schluss: Wenn drei Noten-Erzähler dieses Kalibers ein Stück „Talking Politics“ nennen, dann kann sich jeder vorstellen, was für ein herrlich schräges, schrilles, brabbelndes, pseudo-eiferndes Stück daraus entsteht. „Twin Songs“ ist dann die ideale Zugabe kurz vor Weihnachten und der perfekte Rausschmeißer eines hinreißenden Abends. Ein bisschen feierlich, ein bisschen nachdenklich, nie glitzernd, nie kitschig, aber stets authentisch, hochmusikalisch und extrem emotional. Die große Kunst der perfekten Dosierung.