Stephan Mattner’s String Project | 01.12.2018

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Es ist ein durchaus interessantes Bild: Vier Streicher (weiblich) vor einer vierköpfigen Jazzband (männlich). Die Herren der Schöpfung (stehend) lenken die gesamte Dramaturgie im Neuburger Birdland-Jazzclub, setzen die rhythmischen und dynamischen Schwerpunkte, steuern den Lautstärkepegel, während die Damen (sitzend) für die Farbtupfer sorgen. Es gäbe sicherlich auch einige versierte Kerle, die virtuos mit Geige, Cello oder Bratsche umgehen könnten. Aber so ist es nun mal: die Klassik der Musikbereich mit der höchsten weiblichen Quote, während im Jazz nach wie vor das Testosteron den Ton angibt.

Für eine Gender-Diskussion wäre das String Project des deutschen Saxofonisten Stephan Mattner jedoch eher ungeeignet, weil es viel zu lebendig, viel zu unkonventionell und auch viel zu gleichberechtigt angelegt ist. Was die achtköpfige Formation im wegen der Adventszeit diesmal nicht ganz vollen Keller unter der Hofapotheke da an neuen Klangfarben, ungewohnten Strukturen und geglückten Schnittmengen zwischen U- und E-Musik aus dem imaginären Hut zauberte, das verzückte die wenigen, aber begeisterten Besucher über alle Maßen. Mattner, dieser ebenso kluge wie wagemutige Saxofonist mit tiefen Wurzeln in der Klassik, liebt es, mit Klängen zu spielen, sie ineinander zu verschachteln, mit ehernen Gesetzen zu brechen. Er und der enorm präsente, alles verbindende, heftig groovende Bassist Sebastian Räther, der polyrhythmisch versierte Drummer Jo Beyer und der famose Gitarrist Philipp van Endert präsentieren keinen Jazz nach Schema F. Jedes ihrer Stücke überrascht mit verschobenen, nicht auf den ersten Blick hörbaren Soli, die sich erst allmählich als solche zu erkennen geben.

Wenn van Endert gedankenverloren in die Weite schlendert, so wirkt dies zunächst wie die beiläufige Begleitung des Schlagzeug-Intermezzos, das aber wiederrum nur auf verästelten Wegen dem Bass folgt. So kann Jazz auch funktionieren, ohne gleich mit sämtlichen Strukturen zu brechen. Stephan Mattners Einsätze sind dagegen eher spärlich. Der 44-Jährige konzentriert sich lieber darauf, die Eruptionen seiner instrumentalen Vulkane zu steuern. Die acht Musikerinnen und Musiker spielen häufig vom Blatt, können aber auch loslassen und sich in einen tiefen Strudel stürzen. Vor allem Julia Brüssel und Zuzana Leharová (beide Violine), Pauline Buss (Viola) und Beate Wolf (Cello), die dem „String Project“ letztendlich seinen Namen geben, treiben das Vexierspiel der Stile schließlich auf den Siedepunkt.

Beate Wolf zupft ihr Cello mit einer solchen Inbrunst und Leidenschaft, dass man fast schon geneigt wäre, es als Zentrum des improvisatorischen Hurrikans zu bezeichnen. Dann kratzen sich Zuzana Leharovà und Julia Brüssel derart dreckig-virtuos durch ihre Einsätze, dass man keine Trompete, keine Orgel mehr vermisst. Pauline Buss garniert das Ganze noch mit einigen teuflischen Kräutlein, während die Männer einen brodelnden Wurzelsud aus lauter faszinierend-überraschenden Tönen brauen, die mal rocken, mal schweben oder mäandern. Am Schluss zischt, brodelt, dampft und kocht es heftig. Stephan Mattners vermeintlich elitäres „String Project“ weder Klassik noch Jazz, sondern nur noch urwüchsige, lebensbejahende Kraft.