Rita Marcotulli & Luciano Biondini | 30.11.2018

Donaukurier | Karl Leitner
 

Das Akkordeon kommt im Jazz eher selten vor. In der alpenländischen Volksmusik, beim Zydeco, bei Tango und Valse Musette, ja, da schon, aber im Jazz? Der Italiener Luciano Biondini ist an diesem Instrument ein wahrer Könner. Er studierte dessen Handhabung an der Hochschule, spielte mit Enrico Rava und Tony Scott und beherrscht es perfekt. Im Neuburger Birdland tritt er an diesem außergewöhnlichen Abend zusammen mit der Pianistin Rita Marcotulli auf. Die gehörte eine Zeit lang zur Billy Cobham Band und arbeitete mit Chet Baker, Joe Lovano und Kenny Wheeler, ist also wahrlich ebenfalls kein unbeschriebenes Blatt.

Zusammen haben sie die Stücke für das Album „La Strada Invisibile“ entwickelt, das sie im Gewölbe unter der Hofapotheke vorstellen. Eines ist sofort klar: Hier haben sich zwei gesucht und gefunden. Ihr Zusammenspiel ist traumhaft, von beiden Seiten aus funktioniert das Verständnis für den jeweiligen Partner wie von selbst. Beide haben anscheinend auch die gleichen Vorlieben, fühlen sich wohl bei der Verarbeitung traditionellen italienischen Liedguts wie auch klassischer Einflüsse und treffen sich beim Jazz, um sich auszutoben. Sie tun das in musikalischer Hinsicht wie auch in emotionaler.
Wenn Rita Marcotulli mit der linken Hand die tiefen Töne geradezu in den Saal hämmert und mit der rechten darüber Pirouetten dreht, dann hat das Wucht und Grandezza zugleich. Wenn Luciano Biondini auf höchst komplexen rhythmischen Fundamenten mit seinem chromatischen Knopfakkordeon Purzelbäume schlägt, dass die Funken sprühen, dann kann man nur noch staunen.

Das ist das eine. Das andere sind die Stimmungen. Melancholische Wehmut und fröhliche Ausgelassenheit liegen oft nur ein paar Takte voneinander entfernt. Witz und Ernsthaftigkeit, kompositorische Komplexität und melodische Eingängigkeit, rasante Dynamik und epische Breite, Temperament und Zurückhaltung, Anspannung und Entspannung wechseln sich ab, ständig ändern sich die Strukturen und der Blickwinkel. Dass die Stücke Namen tragen wie „Yin & Yang“, „In Between“ und „Stagione“ hat also durchaus einen tieferen Sinn.

Man kann beim Hören der wunderbaren Stücke dieses virtuosen Duos einfach nur den Augenblick genießen, man kann sich aber auch entführen und forttragen lassen, man kann dazu Bilder entstehen lassen und Assoziationen entwickeln. „Diese Musik ist etwas für Gefühlsbetonte, vor allem aber für Menschen, die mit den Ohren sehen“, hieß es anlässlich der Veröffentlichung von „La Strada Invisibile“. Im Birdland konnte man nachprüfen, ob dies auch wirklich zutrifft. Und ja, wer sich öffnete und es zuließ, für den stimmte es tatsächlich.