Crossover? Igitt, was für ein Pfui-Wort! Es soll wohl umschreiben, dass sich Kunstschaffende nach wie vor krampfhaft daran versuchen, Dinge zusammenzupappen, die einfach nicht zusammenpassen wollen.
Klassik und Jazz, das ist wie Hagebuttentee und schottischer Whisky. Vielleicht auch wie die aktuelle Suche nach politischen Bündnissen zwischen Schwarz und Grün. Steife Verkrampftheit, wie in Tausenden anderen Fällen. Dennoch versuchen es die Neuburger Barockkonzerte seit 2000 – mit immer wieder ganz erstaunlichen Resultaten. Denn wer sich wie der Klarinettist Stephan Holstein, der Pianist Tizian Jost und der Bassist Thomas Stabenow den divergierenden Idiomen ernsthaft aber ohne übersteigerte Ganzheitsansprüche nähert, sie mit beiden Händen konzentriert greift und spielerisch damit jongliert, dem gelingen in der Tat Dinge, die den Klassik- wie den Jazzfan gleichermaßen anrühren.
Schon nach wenigen Takten bildet sich im ausverkauften „Birdland“-Jazzclub, wo seit 2000 der etwas andere Auftakt der Barockkonzerte über die Bühne geht, eine fluktuierende Plattform, eine Ebene, die Improvisation mit Formstrenge versöhnt. Das Trio zeigt, dass es allemal lohnend wäre, über den Tellerrand zu gucken und die sowieso schon mächtigen Toleranzgrenzen des Jazz noch weiter zu stecken.
Holstein, Jost und Stabenow haben sich gewissenhaft auf ihren Auftritt bei den Barockkonzerten vorbereitet, sind bereits einen Tag zuvor angereist, um viele neue Arrangements zu proben. Schließlich muss ihnen niemand mehr erzählen, dass sie hier auf einem Prüfstand stehen, vor einem Publikum spielen, dass jede Form von kommerzorientierter Täuschung sofort durchschaut und stante pede abstraft.
Doch keine Sorge: Alles passt, klingt hervorragend und vermittelt jede Menge Emotionen. Keine geschwollene Attitüde, sondern geschmeidige Eleganz. Holsteins Klarinette scheint wie für dieses Projekt erschaffen: Dieser innerliche Ton, das milde Gleißen. Der Augsburger mit der besonderen Affinität für Neuburg zelebriert eine Kunst, die nicht hoch genug eingeschätzt werden kann zwischen all dem zirzensischen Blendwerk und der nervig-puritanischen Grundhaltung. Dazu Josts feine Anschlagskultur, gepaart mit einer wohltuenden Reduzierung auf das wirklich Wesentliche, und Stabenow mit seinen verbindenden, warmen, auf das kleinste Detail achtenden Linien.
Man könnte alles zerlegen und sich zerfleischen, was geht und was nicht: Bachs „Wachet auf, ruft uns die Stimme“ (BMW 645), der feinnervige „Tabakraucher“ (BWV 515a), ein Klassik-Hit wie „O Haupt voll Blut und Wunden“(BWV 244), das offenbar auch Popstar Paul Simon bei seiner Erfolgskomposition „American Tune“ inspirierte, die „Gymnopedie“ von Eric Satie, die Big Band-Nummer „Three & One“ von Thad Jones oder die durchaus vorhandenen, aber gut versteckten Brücken zwischen Brahms` Rhapsodie und Coltranes Skalen. Doch nirgends entsteht ein Bruch.
Alles wirkt plausibel und glaubhaft (vielleicht bis auf das im Vergleich zum Gros des Abends etwas konservative Finale), Bach fließt wie ein ruhiger Bach dahin. Weil drei Jazzmusiker hier niemals versuchen, Klassiker zu sein. Aber sie reiten auch nicht penetrant auf dieser „Schau, wie ich improvisieren kann“-Welle. Das soll ihnen erst einmal jemand nachmachen.