Stephan Holstein Quintet | 26.02.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Muss Benny Goodman tatsächlich noch sein, in einer Zeit, da gerade der Jazz radikal zu neuen Ufern strebt? Diese Ikone einer verblassten Swingära, die vielen Musiker nur als Vehikel für populistische Nostalgien dient, ist ein gefährliches Pflaster, auf dem es sich trefflich ausrutschen und auf Nimmerwiedersehen in den Sumpf der seichten Beliebigkeit hinabgleiten lässt.

Und muss gerade ein außergewöhnlich begabter Klarinettist wie Stephan Holstein, der zuletzt mit mutigen, innovativen Projekten für Aufsehen sorgte, im vollbesetzten Neuburger „Birdland“-Jazzkeller ausgerechnet mit dem bekanntesten aller Jazz-Klarinettisten eine ideelle Liäson eingehen? Wenn nicht er, wer dann? Keiner beherrscht dieses schwierigste aller Blasinstrumente derzeit virtuoser, niemand vermag mehr mit dem efeuartigen Relikt aus der Creolen-Folklore zu „spielen“, sich ohne Substanzverlust von der Gegenwart in die Vergangenheit und wieder zurück zu hangeln, als er.

Holstein, inzwischen reife 37 Jahre und in Neuburg wie in Ingolstadt längst ein alter Bekannter, weiß genau um den anachronistischen Nimbus der Klarinette und nützt ihn weidlich, um mit einem ambitionierten Bandprojekt die vom Kommerz fast verschüttete geniale Vielseitigkeit seines Vorbilds herauszuschälen. Im Hofapothekenkeller erklingen kaum die schmissig-bekannten Ohrwürmer in originalgetreuer Blaupausen-Version, sondern überwiegend Titel, an deren Entstehung Goodman entweder als Co-Autor beteiligt war, die er gerne spielte oder aber völlig abseitige Komponisten, die er heimlich verehrte.

Benjamin David Goodman, der Bebopper: Stephan Holstein realisiert diese Tribut-Facette in „Dizzy Spells“ hinreißend treibend mit dem Hamburger Wolfgang Schlüter, einem der profiliertesten deutschen Vibrafonisten der Nachkriegszeit. Beider Tête-à-tête beginnt behutsam in anschwellenden Unisoni, aus denen sich gegenseitige Steilvorlagen entwickeln, die in sublimer Klangkultur münden. Der eine mit gedämpften, akzentuiert phrasierenden Tönen, der andere mit perkussiv fließendem, metallischem Anschlag.

Holstein outet Goodman, den sozial ausgerichteten Bandleader, der als erster ein Quartett mit schwarzen und weißen Musikern unterhielt, wegen dessen knackiger, repetitiver Riffs sogar als eine Art prähistorischen Rocker. Während Schlüter in „I Got Rhythm“ wie ein Mauersegler den Part Lionel Hamptons interpretiert, deutet Heinz Frommeyer die Rolle des Pianisten Teddy Wilson impressionistisch-lyrisch. Die modernen Akzente setzt der junge Drummer Falk Willis, ein flinker, mit Kreuzrhythmen und chargierenden Taktfolgen überreich gesegneter Nachfahre Gene Krupas.

Oder Goodman, der Liebhaber zeitgemäßer Klassik. Pro Set intonierte die Combo jeweils einen fast provozierenden, avantgardistischen Kontrapunkt: „Village Dance“ von Bela Bartok und „Equinox“ des späten John Coltrane. Umherfliegende Skalen in seltsam vertrauter Entfremdung, neo-realistische Klangmalerei, stabilisiert von Willis und dem wagemutigen Bassisten Thomas Stabenow, geführt von Holsteins in kühler Jimmy Giuffre-Manier geblasener Klarinette – leise Schocker, bei denen schon mal die Käsehäppchen im Mund steckenblieben, aber auch die heimlichen Höhepunkte eines bemerkenswert abwechslungsreichen Abends.