Stephan Holstein Quartett | 28.05.2021

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Es kommt einem irgendwie unwirklich, ja fast schon wie aus einer anderen Welt vor: In der Abenddämmerung auf dem Kopfsteinpflaster des Apothekergässchens entlang zu schlendern, behutsam die knarzende Türe zu öffnen und vom dezenten Swing des Pianos, des Schlagzeugs und des Kontrabasses über die steinernen Treppen hinab ins Kellergewölbe gezogen zu werden. Fast sieben Monate gab es das nicht mehr. Jetzt endlich, beinahe schon kurzfristig innerhalb von nur 24 Stunden, bekam der Birdland-Jazzclub Neuburg wieder grünes Licht, um seine Pforten öffnen zu dürfen, den weiterhin rapide sinkenden Inzidenzzahlen sei Dank.

Ein Konzert, von Birdland-Impresario Manfred Rehm von langer Hand vorbereitet, immer wieder verschoben, seit über einem Monat quasi „Gewehr bei Fuß“, die Musiker und das handverlesene Publikum auf Abruf bereit. „Ich bewundere Manfred für seinen unerschütterlichen Optimismus und seine nie erlahmende Zuversicht“, lobt Stephan Holstein, Klarinettist und Türöffner beim Neustart des Jazzsaison am Freitag. Dass die Darbietung von Holsteins Quartett, das mit dem bedeutungsschweren Motto „Swing is here to stay“ (Swing ist hier um zu bleiben) angetreten war, noch bis zum Donnerstagabend auf Messers Schneide stand, schien nur langsam Gewissheit zu weichen, dies alles nicht zu träumen. Ein begeistertes, von der langen Askese förmlich ausgehungertes, natürlich reduziertes, getestetes oder geimpftes und an Einzeltischen platziertes Publikum (darunter auch Landrat Peter von der Grün, Kulturreferentin Gabriele Kaps sowie Stadträtin Doris Stöckl) und vor Spielfreude beinahe berstende Musiker feierten den Wiederbeginn geradezu enthusiastisch.

Dass von der Grün, selbst passionierter Altsaxofonist, dann noch von seinem Platz aus höchstpersönlich bestätigte, dass das ursprünglich für 22 Uhr festgesetzte Konzertende wegen des dauerhaften Inzidenzwertes von unter 50 entfiel und die Musiker spontan zum Weiterspielen animierte (Holsteins launiger Kommentar: „Sie wissen schon, was Sie da gerade gesagt haben!“), machte das Glücksgefühl perfekt. Und was gibt es Heimeligeres, als den Geist eines Birdland-Freundes über diesem Eröffnungskonzert zu spüren? Denn eigentlich war es die Band des im Februar 2020, kurz vor Beginn der Pandemie, verstorbenen Regensburger Gitarristen Helmut Nieberle, dessen Stücke natürlich den Kern dieses denkwürdigen Abends bildeten. „Swing For Two“, „Choro Waltz“, „The Real Gentlemen“: So heißen „Niebs“ elegant und fein swingende Kompositionen, die er der Nachwelt hinterließ und die seine Freunde mit immenser Hingabe ganz in seinem Sinne zelebrierten.

Da wäre zum Beispiel Wolfgang Kriener, der singend-scatende Bassist, Michael „Scotty“ Gottwald, der Drummer mit seinem genetischen Sensor für Besen-Groove, oder Bernhard Pichl, der Pianist, der den Gitarrenpart übernahm und der die Läufe wie süffigen Prosecco auf die Tastatur zu perlen versteht. Der fein strukturierende, kontrastierende Klarinettist Stephan Holstein verknüpft mit seinem seit vielen Jahren einzigartig erhabenen Ton die Instrumentalfäden zu einem stimmigen Ganzen. Die Jungs haben hörbar Spaß, spielen sich den ganzen Frust der Corona-Monate, des Wartens, Zweifelns und Allein-Übens innerhalb von zwei Stunden vom Leib. Die Stücke fliegen dabei wie bunte Luftballons durch den Keller. Standards wie „Moonlight In Vermont“, „Alone Together“, „Without A Song“, Charlie Parkers Bebop-Galoppade „Au Privave“ oder Neil Heftis „Cute“ aus dem Great American Songbook müssen nicht immer super innovativ daherkommen, wenn sie nur virtuos und voller Leidenschaft zelebriert werden. Im Prinzip reicht es schon, dass sie nach dieser extrem langen Leidenszeit überhaupt erklingen. Ach, ist das schön, wenigstens wieder ein Stück Normalität, einen Teil des guten, alten Birdland-Flairs zurück zu haben!