Stefania Tallini | 23.10.2004

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Die Kunst des Jazz-Pianotrios hat in Italien eine ausgeprägte Tradition. Gerade in der lyrischen Schule, die ihre Inspiration von Bill Evans bezieht, hat man auf dem Stiefel Einiges vorzuweisen: Franco d’Andrea z.B. oder Enrico Pieranunzi, der erst jüngst in Neuburg gemeinsam mit Jim Hall ein Fest der leisen Töne feierte. Nun also in der jüngeren Genration Stefania Tallini, wie ihr Lehrer Enrico Pieranunzi unter Vertrag beim Ulmer Plattenlabel yvp, das sich um die Dokumentation des italienischen Jazz seit vielen Jahren in besonderer Weise verdient macht. Die junge Römerin zeigte im Neuburger Birdland, dass sie durchaus das Potential besitzt, die Fackel weiter zu tragen.

Zunehmend emanzipiert von Lehrern und Vorbildern zeigt sich Stefania Tallini als Pianistin von hoher Eigenständigkeit, gar nicht schmeichelweich elegisch, sondern immer wieder auch mit Ecken und Kanten, sehr selbstbewusst und entschieden. Ihre intelligent konzipierten Kompositionen bekennen sich zu Bill Evans, Bud Powell, immer wieder mal auch zu Theolonious Monk, beziehen gleichzeitig Inspiration aus der europäischen Romantik und aus dem Impressionismus. Zu Zeiten, in denen sich Amerikaner zunehmend darauf besinnen, Jazz als „America’s classical music“ zu verstehen, ist es nur legitim, die eigene klassische Tradition als integralen Bestandteil einer europäischen Herangehensweise an den Jazz zu begreifen, nicht als verjazzte Klassik, sondern als Reservoir der kollektiven Erinnerung, aus dem die Kreativität der Improvisation schöpft.

Stefania Tallinis klassisch geschulter Anschlag verbindet sich mit nuancenreicher Eleganz, Logik, Intuition, Risikobereitschaft und mit dem Groove ihrer beiden Begleiter Stefano Cantarano am Bass und Nicola Angelucci am Schlagzeug. Die beiden sorgen nicht nur in subtiler und ausgewogener Weise für eine stets swingende Basis, sondern erden das Geschehen jazzig im Hardbop und zeigen darüber hinaus bei etlichen Gelegenheiten solistische Klasse. Das Trio agiert in akkurat ausgetüftelten Arrangements, mild variierenden Klangfarben und mit einem ausgeprägten Gespür für den gemeinsam gesponnenen Erzählfaden. „When All Was Chet“, eine Hommage an Chet Baker, dessen Impulse für den italienischen Jazz in den 50ern und 60ern so viel bedeuteten, überträgt die schutzlose Verletzlichkeit des Trompeters ins Heute ohne sie sentimental auszuschlachten. „ICS Dance“ wirbelt dann wieder im hurtigen Parforceritt übers Elfenbein des Bösendorfers, sprudelnd vor Ideen und beweglicher Harmonik. Stefania Tallini, die in Italien derzeit alle nur zu gewinnenden Preise abräumt, hinterlässt auch auf der Nordseite der Alpen eine musikalisch polyglott bedruckte Visitenkarte, die Intellekt, Eleganz und Emotionalität in wohl ausgewogener sensitiver Balance zusammen hält. Man wird noch hören von der jungen Dame.