South West Oldtime All Stars (Audi Forum Ingolstadt) | 25.04.2024

Donaukurier | Karl Leitner
 

Die Hiobsbotschaft kommt einen Tag vor dem Konzert. Der 78-jährige Schlagzeuger Trevor Ri­chards, vor langer Zeit Schüler von Zutty Singleton, dem legendären Drummer in Louis Armstrong ’s Hot Seven, und somit allein auf Grund seiner Vita einziges noch aktives Bindeglied zum Zeitalter des Oldtime Jazz, muss krankheits­bedingt absagen.

Das bedeutet für die South West Oldti­me All Stars, dass sie für ihr Konzert im Audi Forum von jetzt auf gleich erstens ein komplett neues Programm zusam­menstellen müssen und zweitens einen „Ersatzmann“ an den Becken und Trom­meln brauchen. Wobei „Ersatzmann“ die völlig falsche Bezeichnung für Paul Hochstädter ist, der normalerweise bei der hr-Bigband unter Vertrag steht. Er gehört zu der Sorte von Musikern, denen man nur ein Notenblatt aufs Pult legen muss, und sie spielen ihren Part auch ohne großes vorheriges Üben absolut souverän und auf den Punkt. Was er im Audi Forum abliefert, ist einfach nur großartig. Ein Attribut, das aber ebenso auf seine Kollegen zutrifft. Auch Martin Auer (Trompete), Felix Fromm (Posau­ne), Gary Fuhrmann (Altsaxofon, Klari­nette), Jürgen Zimmermann (Tenor- und Baritonsaxofon, Klarinette), Thomas Sta­benow (Kontrabass) und Johannes von Ballestrem (Klavier) stellen sich mühelos auf die neue Situation ein und liefern dem Publikum ein zwar in dieser Ausrichtung unerwartetes, aber genau deswegen um so spannenderes Konzert.

Bereits die Eröffnungsnummer umreißt die Situation. „Things Ain’t What They Used To Be“, zu deutsch: „Die Dinge sind nicht das, was sie ein­mal waren“. Wenn etwas auf diesen Abend zutrifft, dann der Titel die­ser Duke Elling­ton-Komposition. Um genau ihn wird es in den darauf folgen­den knapp zwei Stun­den gehen. Ellington hätte heuer 125. Ge­burtstag, was es gilt zu würdigen. Die Art und Weise, wie das vor sich geht, ist vom Konzept, der Musikauswahl und der Durchführung her einmalig. Man hatte einfach nur eine allseits be­kannte Varian­te des „Oldtime Jazz“ mit vielen bekann­ten Melodien erwartet und bekam statt dessen vor der Pause die Welt-Urauf­führung einer höchst originellen neuntei­ligen Bearbeitung von Tschai­kowskys „Nussknacker Suite“, die sei­nerzeit El­lington für seine Zwecke nutz­te, indem er die Beziehungen der einzel­nen Teile untereinander kom­plett neu ge­staltet hat­te. Die Band liefert nun die „Bearbeitung der Bearbeitung“. Welch tolle Idee. Nach der Pau­se sind – was wiederum nicht zu erwar­ten war – zwar Originalnummern von El­lington an der Reihe, bis auf „Ca­ravan“ und „Mood Indigo“ aber nicht dessen Hits, sondern sehr selten oder so gut wie nie zu hörendes Material auch aus dem Dunstkreis seiner Band.

Don Redman’s „Cherry“, Johnny Hod­ges‘ „Krum Elbow Blues“ und Elling­ton’s „Sponge Cake & Spinach“ und all die anderen werden zu echten Perlen, die erfreulicherweise rein gar nichts zu tun haben mit Nostalgie, Vintage oder Old School, weil sie ver­mutlich tatsäch­lich für viele im Auditori­um neu oder zu­mindest nicht sonderlich bekannt sein dürften, es nach all der Zeit also immer noch viel Neues zu entdecken gilt, und weil sie so dermaßen spritzig und doch hochkonzen­triert dargeboten werden. Mit dieser Band als Gratulanten feiert Elling­ton nur auf dem Papier 125. Ge­burtstag. In Wirklichkeit lebt er noch. Durch sei­ne Musik. Und wie!