Sommerjazz 2006 | 14.07.2006

Donaukurier | Lorenz Erl
 

Das Ambiente rund um den Sommer Jazz 2006 im Neuburger Schlosshof ist traumhaft: Mächtige Arkaden und ein hohes Mauergeviert lassen die laute Welt ein ganzes Wochenende lang außen vor und schaffen drinnen einen abgeschlossenen Kosmos, dessen Mittelpunkt wunderbarer Jazz ist. Alte Architektur und lebendiger Jazz schaffen einen Kontrast, der bis in die letzten Stuhlreihen hinein spürbar ist und die Musiker aus ihrem gewohnten Konzertsaal- oder Kleinkunstumfeld herausholt. Für Fans der swingenden Stilrichtung eine Chance, gewohnte Klänge in dieser Freiluft-Atmosphäre mit neuen Nuancen und Klangfarben zu hören.

Zweimal durften die Musikfans an diesem Wochenende herausragende Interpreten und dazwischen ausdrucksstarke, etablierte lokale Gruppen hören. Der Ingolstädter Perkussionist Charly Böck und seine Männer vom Latin Projekt sind eine davon. Sie eröffnen am Freitag den Sommer Jazz 2006 mit afrokubanischen Rhythmen und Charly Böck löst die undankbare Aufgabe als Einheizer für die nachfolgenden Programmpunkte hervorragend, auch wenn die Zuschauerreihen noch Lücken aufweisen. Zwei Stunden später macht er die Bühne frei für das Munich Swing Orchestra und Bruno de Filippi. Die Dauergäste im Audi-Forum sind erstmals in Neuburg und bieten brillante Performance. Sie nutzen die neue Weite des offenen Raumes und geben sich mit Swing-Klassikern wie „In The Mood“ wesentlich druckvoller als sonst in ihren Konzerten. Erstmals spielt der Mailänder Mundharmonika-Virtuose Bruno de Filippi gemeinsam mit ihnen und zeigt virtuos, welche gewaltige Vielfalt an Klang und Ausdruck in so einem kleinen Instrument stecken kann. Sein Schlussstück „Azzuro“ erstickt fast im Applaus der Besucher.

Die Big Chris Barber Band hat schon mehrmals Erfahrungen mit dem Neuburger Publikum sammeln können. Der Bandleader und Posaunist Chris Barber – einer der bekanntesten Musiker des traditionellen Jazz – ist dem Sound der 40er und 50er Jahre treu geblieben. Die Blechbläser sind in seiner Truppe dominant und so holt er sich die Aufmerksamkeit des Publikums, das im Vorprogramm die wunderbar kraftvolle und ausdrucksstarke Stimme von Kerstin Schulz und die Musik ihrer Band „4 OF A KIND“ genossen hat, nach der Umbaupause mit einem schmetternden Auftakt zurück. „Down To New Orleans“ heißt die Komposition, die gleichzeitig die Musikrichtung für die nächsten zwei Stunden vorgibt. Die zehn Mann starke Band – Chris Barber will sie ausdrücklich nicht als Big Band sehen – pflegt den heimeligen, warmen und kantenlosen Sound aus der frühen Mitte des letzten Jahrhunderts, der zuweilen zuckersüß und nach heiler Welt schmeckt. Für den 78-jährigen Chris Barber scheint in dieser Musik jedoch das Geheimnis seiner ewigen Jugend zu liegen. Man mag ihm sein hohes Alter zwar ansehen, aber zu hören ist es weder in seinem instrumentalen noch vokalen Engagement. Zudem moderiert er den Abend erfrischend gut gelaunt in fast fehlerfreiem Deutsch.

Chris Barber und sein Band-Kollege Pat Halcox sind seit 52 Jahren der Kern der Truppe, aber müde wirken sie im Neuburger Schlosshof noch lange nicht. Um die beiden stehen exzellente Virtuosen an den Instrumenten, wie der Tenorsaxofonist und Klarinettist John Defferary. Er begeistert die Zuhörer immer wieder mit diversen Klarinettensoli in atemberaubend präziser Technik und traumtänzerisch bunter Modulation. Einige Klassiker der Ära heben sich Barber und seine Bandmitglieder für das Finale auf. „When The Saint Go Marching In“ ist ihr abschließendes musikalisches Feuerwerk und für die geforderte Zugabe kommt nur ein Titel in Frage: sein Welthit „Ice Cream”. Für diesen Song aus seiner Feder wünscht sich Barber das Publikum als Chor. „Die ersten 50 Jahre waren so schön, ich freue mich auf die nächsten 50 musikalischen Jahre“, versichert er zum Abschied.