Slide Hampton Project | 25.03.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Platz da! Eine Bigband auf so kleinem Raum verlangt schließlich Opfer. Also ein paar Tische raus, der Rest rückt halt ein bisschen enger zusammen, die Saxofone sitzen plötzlich da, wo normalerweise die Gäste in der ersten Reihe ihren Rotwein oder ihr alkoholfreies Weißbier schlürfen und den Musikern dabei auf die Finger oder die tropfenden Schweißperlen im Gesicht schauen können, und schon passt auch ein zwölfköpfiges Orchester in den Hofapothekenkeller. Stammgästen fallen da die Bilder vom 40. Clubjubiläum im Mai 1998 ein, als schon einmal ein swingendes Kamel in Form einer solch monströsen Bigband in Neuburg durchs Nadelöhr geschoben wurde. Damals wie heute Spiritus Rector: der Pianist Joe Haider.

87 ist Haider inzwischen, und im Vergleich zu seinem jüngsten Gastspiel im Mai vergangenen Jahres deutlich gebrechlicher, aber zumindest auf der Bühne immer noch derselbe „Kupferstecher“ wie ehedem. Deshalb mag es ihm auch ein Herzensanliegen sein, im Laufe seiner noch verbleibenden Zeit Weggefährten zu danken, ihnen den gebührenden Respekt zu erweisen, wie etwa dem legendären, 2021 mit 90 Jahren verstorbenen amerikanischen Posaunisten Slide Hampton, den der schwäbische Brummbär während seiner wilden Zeit im München Jazzclub „domicile“ in den 1970er Jahren kennen- und schätzen gelernt hatte. Weil Hampton nicht nur auf seinem Instrument als Ass galt, sondern sich vortrefflich auf das schwierige Arrangieren von Bigband-Partituren verstand, widmet ihm Joe Haider nun eben einen ganzen Abend in opulenter, ziemlich prominenter Besetzung. Wobei das „Slide Hampton Project“ natürlich vor allem auch eine Gelegenheit für „McCoy Haider“ (keine bescheidene Eigenbeschreibung) bietet, sich selbst zu präsentieren. Natürlich mit seinen berüchtigten Ansagen, etwa für den „Waltz For My Lady“, das er seiner ersten Ehefrau auf den Leib schrieb. In Bern habe er später einmal versucht, Walzer zu lernen, bis die Tanzlehrerin die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und ihn gefragt habe: „Sie sind ja total unmusikalisch. Was machen Sie eigentlich beruflich?“ Haiders verlegene Antwort geht im Lachen des Hofapothekenkellers fast unter: „Friseur!“

Natürlich vergisst er bei aller Selbstdarstellung nicht, seine Freude, die gemeinsam mit ihm Slide Hampton huldigen, entsprechend zu präsentieren: den grandiosen Tenorsaxofonisten Tony Lakatos, den fein konstruierenden Bass-Posaunisten Erik van Liehr, die schneidigen Posaunenkollegen Alistair Duncan und Johannes Herrlich, die Trompeter Dave Blaser, Claus Reichstaller und Daniel Noesig, die Saxofonisten Florian Trübsbach und Domenik Landolf sowie die „Rhythmusmaschine“ Thomas Stabenow am Kontrabass und Dominic Egli an der Schießbude. Zwölf Musiker also. Das alles klingt schon richtig fett, imposant und eindrucksvoll, vor allem, mit in punkto Präzision und wie das Intensitätslevel zwischen abebbend dunkel und leuchtend hell gedimmt wird. Neun Bläser, fächerartig aufgereiht, übergeben die Melodienlinien im fliegenden Wechsel, von den Saxofonen auf die Trompeter, bis sich die Posaunen dazwischenschieben und die fluktuierenden Farbspiele auf die Spitze treiben.

Die Arrangements dieses Abends gehen fast zur Gänze auf das Konto von Slide Hampton, einem echten „Bigband-Tier“, der es wie kaum ein Zweiter verstand, die Essenz des Swing aus dem Urwald multipler Hörner herauszufiltern. Exemplarisch dafür stehen Titel wie „Quiet Nights“, Dizzy Gillespies „Con Alma“ und Haiders freches „Tante Nelly“, die das erlesene Orchester mit außergewöhnlicher Spielfreude und immenser Detailverliebtheit zelebriert. Das Fazit dieses besonderen Abends soll deshalb nicht wie eine abgedroschene Plattitüde klingen: Gute Musik bleibt eben ein zeitloses Phänomen. Was Joe Haider und Co. wieder einmal nachhaltig unter Beweis gestellt haben.