Cellisten im Jazz sind zwar nicht mehr exotisch oder lediglich Kontrabassisten mit Nebenjob wie einst, aber rar sind sie immer noch. Mit Hank Roberts aus der New Yorker Avantgarde-Szene gastiert einer ihrer derzeit wichtigsten Vertreter im Neuburger Birdland Jazzclub. Durch seine Zusammenarbeit mit John Zorn, Robin Eubanks, Django Bates und Bill Frisell hat er sich einen Namen gemacht weit über Insider-Kreise hinaus.
Das Publikum im erfreulich gut besuchten Club darf also durchaus gespannt sein auf das, was es in den nächsten zwei Stunden zu hören bekommen wird. Und, wie sich herausstellt, völlig zurecht. Bereits der Beginn ist herausfordernd. Mehrere kleine Rinnsale plätschern zu Tal, haben erst einmal nichts miteinander zu tun, vereinigen sich zu einem kleinen Bach in einem gemeinsamen Bett. Ständig ändert sich die Fließgeschwindigkeit, irgendwann werden sie zu einem Fluss, der immer wieder neue Wassermassen von links und rechts aufnimmt. Schließlich schwillt das Gewässer zum Strom an, um sich anschließend im Dunst zu verlieren.
Was Roberts und seine beiden Partner, Aruán Ortiz am Flügel und Matt Wilson am Schlagzeug, bis hierher abliefern, lässt Bilder im Kopf entstehen, eines wie das oben beschriebene oder auch ein ganz anderes. Dem gegenüber stehen griffige, vergleichsweise melodische, rhythmisch eindeutigere und somit leichter zugängliche Passagen, wobei die Übergänge abrupt oder fließend sein können, nie aber ungeplant, denn vieles wurde vorab notiert, was man an den Notenblättern ablesen kann. Die sind notwendig, weil die Stücke des Abends dermaßen neu sind, dass sie erst im Herbst diesen Jahres veröffentlicht werden sollen. Der Übergang zwischen den Polen wird hier zum Prinzip erhoben. Nach dem Prolog des Cellisten oder des Pianisten, der alle Optionen offen lässt, findet man sich plötzlich in einer Melodie von Coltrane oder Monk wieder. Oder geht mit Roberts auf große Entdeckerreise.
Das Cello als Bassersatz, klanglich verfremdet vermittels Slapping, gestrichen, gezupft, der Flügel als Ausgangspunkt minimalistischer Figuren oder sprudelnder Kaskaden, mal mit gedämpften Saiten gespielt, mal über nur ganz sachte berührte Tasten zum Klingen gebracht, ein Drummer, der die Spur weist, als Schatten seinen Kollegen nicht von der Seite weicht oder selber über die Stränge schlägt. Es herrscht rege Betriebsamkeit, die Spannung ist enorm, auch vor der Bühne, weil sehr schnell offensichtlich ist, dass hier nur eines erwartbar ist, nämlich das Unerwartete. Und es beweist sich einmal mehr, dass auch auskomponierte Musik durchaus nicht auf ewige Zeiten festgezurrt sein muss, dass der Aspekt des steten Werdens und Vergehens, der permanenten Wandelbarkeit geradezu ein Alleinstellungsmerkmal des Jazz ist. Die Musik dieses Abends mäandert, verdichtet sich, ist greifbar, verflüchtigt sich, ist überraschend konkret, entzieht sich dem Zugriff, wirkt scheinbar zufällig und ist doch geplant. Ob man sie letztendlich unter „Avantgarde“ oder „Modern Jazz“ einsortiert, ist völlig egal. Unter „einzigartig“ wäre vermutlich am sinnvollsten.