Hank Roberts Trio | 31.03.2023

Donaukurier | Karl Leitner
 

Cellisten im Jazz sind zwar nicht mehr exotisch oder lediglich Kontrabassisten mit Nebenjob wie einst, aber rar sind sie immer noch. Mit Hank Roberts aus der New Yorker Avantgarde-Szene gastiert einer ihrer derzeit wich­tigsten Vertreter im Neuburger Birdland Jazzclub. Durch seine Zusammenarbeit mit John Zorn, Robin Eubanks, Django Bates und Bill Frisell hat er sich einen Namen gemacht weit über Insider-Kreise hinaus.

Das Publikum im erfreulich gut besuch­ten Club darf also durchaus gespannt sein auf das, was es in den nächsten zwei Stunden zu hören bekommen wird. Und, wie sich herausstellt, völlig zurecht. Be­reits der Beginn ist herausfordernd. Meh­rere kleine Rinnsale plätschern zu Tal, haben erst einmal nichts miteinander zu tun, vereinigen sich zu einem kleinen Bach in einem gemeinsamen Bett. Stän­dig ändert sich die Fließgeschwindigkeit, irgendwann werden sie zu einem Fluss, der immer wieder neue Wassermassen von links und rechts aufnimmt. Schließ­lich schwillt das Gewässer zum Strom an, um sich anschließend im Dunst zu verlieren.

Was Roberts und seine beiden Partner, Aruán Ortiz am Flügel und Matt Wilson am Schlagzeug, bis hierher abliefern, lässt Bilder im Kopf entstehen, eines wie das oben beschriebene oder auch ein ganz anderes. Dem gegenüber stehen griffige, vergleichsweise melodische, rhythmisch eindeutigere und somit leich­ter zugängliche Passagen, wobei die Übergänge abrupt oder fließend sein können, nie aber ungeplant, denn vieles wurde vorab notiert, was man an den Notenblättern ablesen kann. Die sind notwendig, weil die Stücke des Abends dermaßen neu sind, dass sie erst im Herbst diesen Jahres veröffentlicht wer­den sollen. Der Übergang zwischen den Polen wird hier zum Prinzip erhoben. Nach dem Prolog des Cellisten oder des Pianisten, der alle Optionen offen lässt, findet man sich plötzlich in einer Melo­die von Coltrane oder Monk wieder. Oder geht mit Roberts auf große Entde­ckerreise.

Das Cello als Bassersatz, klanglich ver­fremdet vermittels Slapping, gestrichen, gezupft, der Flügel als Ausgangspunkt minimalistischer Figuren oder sprudeln­der Kaskaden, mal mit gedämpften Sai­ten gespielt, mal über nur ganz sachte berührte Tasten zum Klingen gebracht, ein Drummer, der die Spur weist, als Schatten seinen Kollegen nicht von der Seite weicht oder selber über die Stränge schlägt. Es herrscht rege Betriebsamkeit, die Spannung ist enorm, auch vor der Bühne, weil sehr schnell offensichtlich ist, dass hier nur eines erwartbar ist, nämlich das Unerwartete. Und es be­weist sich einmal mehr, dass auch aus­komponierte Musik durchaus nicht auf ewige Zeiten festgezurrt sein muss, dass der Aspekt des steten Werdens und Ver­gehens, der permanenten Wandelbarkeit geradezu ein Alleinstellungs­merkmal des Jazz ist. Die Musik dieses Abends mäan­dert, verdichtet sich, ist greifbar, verf­lüchtigt sich, ist überra­schend konkret, entzieht sich dem Zu­griff, wirkt schein­bar zufällig und ist doch geplant. Ob man sie letztendlich unter „Avantgarde“ oder „Modern Jazz“ einsortiert, ist völlig egal. Unter „ein­zigartig“ wäre vermut­lich am sinnvolls­ten.