Ralph Alessi aus San Francisco gastiert mit seinem Trio im Birdland Jazzclub in Neuburg. Er wird dem Avantgarde-Jazz zugeordnet, spielt Stücke aus seinem gerade eben erschienenen Album „It’s Always Now“ und auch etliche, die noch neueren Datums sind und bislang noch nirgends veröffentlicht wurden. Wobei das Verb „spielt“ eigentlich zu schwach ist, er „zaubert“ sie vielmehr ins Gewölbe unter der Hofapotheke, mit Kraft, Präzision und Eleganz.
Die Melodieführung bei Stücken wie dem breit angelegten „Duck Face“, dem bedrohlich wirkenden „Gnarly“ oder dem minimalistischen „Ether“ ist berückend, vor allem dann, wenn Alessi und der Pianist Florian Weber sich ihrer im Gleichklang annehmen. Würde man jedoch versuchen, sich nach dem Konzert an ein einzelnes Thema zu erinnern, täte man sich schwer, denn was nach diesem Abend zuvörderst haften bleibt, sind weniger einzelne Kompositionen mit einem Haupterkennungsmerkmal – wobei jedes Stück selbstverständlich über ein solches verfügt – , sondern der Gesamteindruck dieser knapp zwei Stunden. Diese Musik entfaltet ihre Kraft und ihre Bildgewalt im Augenblick des Hörens, wenn ausnotierte Teile und Alessis Improvisationen fast unmerklich ineinander übergehen, die Band sich zu knisternden Spannungsbögen hinreißen lässt oder sich fester Strukturen annimmt, um mit ihnen zu spielen, um sie aufzuweichen, sie neu zu deuten, ohne freilich dabei in irgendeiner Phase auf deren Klischees hereinzufallen.
So basiert „Everything Mirrors Everything“ beispielsweise eigentlich auf einem Walzertakt, an dem die Band aber dermaßen lustvoll herumzerrt, dass der fast verlorenzugehen scheint, so ereilt das Bluesschema an anderer Stelle ein ähnliches Schicksal und das Stück „Reverse Chameleon“ trägt seinen Titel vermutlich auch nicht von ungefähr. Florian Weber und der Schlagzeuger Mark Ferber sind die idealen Musiker für Stücke wie „Planet Jumping“, „Bugbear“ oder „Portion Control“. Jeder auf seine Art ist zuständig für die überaus vielschichtigen Patterns, die Alessi als Basis dienen, Weber an den schwarzen und weißen Tasten, mal mit der linken, mal mit der rechten Hand, Ferber mit dem kompletten Drumset. Im Zusammenspiel ergibt das einen ungemein dichten rhythmischen Teppich, der beim Zuhörer an manchen Stellen einen meditativen Sog entwickelt, dem man sich nur allzu gerne hingibt.
Als schließlich alles fast schon vorbei ist, in der Zugabe nämlich, demonstriert das Trio mit „Old Baby“, das in dieser Fassung fast einem Wiegenlied gleichkommt und das Birdland in eine mystische, nebelverhangene Stimmung taucht, seine überaus emotionale, zärtliche Seite. – Das Alessi Trio: Für Jazz-Neueinsteiger vermutlich nicht unbedingt die einfachste Kost, aber eine überaus schmackhafte.