Ralph Alessi Trio | 24.03.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Man muss sich nur ein bisschen mit Musik auskennen, um zu spüren: Da geht einer ins Risiko. Ein Trio ohne Bass, das ist in etwa so wie ein Auto ohne Stoßdämpfer. Du spürst jedes Ruckeln und Zuckeln, einfach alle Bewegungen. Das Fahr- wie das Konzerterlebnis werden unmittelbarer. Denn der Bass steht in jeder Band für Erdung, für eine natürliche Basis, die den lebensnotwendigen Puls vorgibt und das Publikum in konsumfreundlicher Sicherheit wähnt. Bei dem Trompeter Ralph Alessi müssen sich die Menschen im Neuburger Hofapothekenkeller die normalerweise üblichen Fangnetze dazu denken.

Um keinen falschen Eindruck zu erwecken: Da ist nichts, was den leidigen Stempel „radikal“ oder „Avantgarde“ verdient hätte. Alessi, sein amerikanischer Landsmann Mark Ferber an den Drums und vor allem der deutsche Pianist Florian Weber erzeugen eine Art Mikrogravitation, einen Zustand, in dem die Auswirkungen der Schwerkraft nicht unmittelbar zu spüren sind. Wie im freien Fall. Sie schweben durch ihre Themen, die als funktionale Spielwiesen der Improvisation dienen, breiten wundersame Geschichten aus, die sich aus Bilden und Geräuschen zusammensetzen und erst nach und nach ihre innere Logik aufdecken. Wie in „His Hopes, His Fears, His Tears“, bei dem schon allein der Titel alles Erzählenswerte preisgibt. Zunächst ertönen entrückte Signale wie Klopfgeräusche, Lebenszeichen. Darüber schwebt leise die Trompete, als würde ein Spaziergänger pfeifend an der Oberfläche wandeln. Das Thema schwillt an wie der Pegel eines Flusses, langsam erst, im Untergrund, bis das Wasser durch die Kanaldeckel quillt und die Stadt flutet. Keine Angst, gerade in Neuburg: Es ist nur Musik. Aber mit deren Hilfe plastisch Stimmungen zu evozieren, klingende Emotionen zu wecken, so eindrucksvoll gelingt dies derzeit nur einem Visionär wie Ralph Alessi.

Die Interaktion seines Trios muss man vom ersten Moment an als sensationell bezeichnen, als dicht und reibungsintensiv. Das verbindende Element zwischen den drei Musikern erschließt sich einem oft erst auf einer höheren Abstraktionsebene. Verblüffend ist auch, dass die Ideen zu den Stücken erstaunlich detailliert auskomponiert wurden, darauf deuten die Notenblätter auf der Bühne hin. Beste Beispiel: das malerische „Everything Mirrors Everything“. Alessi versteht sich mit seiner nüchternen Eleganz als mannschaftsdienlicher Spielmacher. Spontan, fast beiläufig beginnt der 60-Jährige scheinbar drauflos zu blasen, aber schon in kurzen Tonfolgen brennt er gleißende Ideenfeuerwerke ab. Schlagzeuger Mark Ferber veredelt diese hingeworfenen Steilvorlagen mal laut und mit durchbrochenem Swing, mal leise mit Besen zischelnd. Aber der eigentliche Impulsgeber des Abends heißt ohne jeden Zweifel Florian Weber, schon in früheren Hofapothekenkeller-Konzerten an der Seite des Altsaxofon-Meisters Lee Konitz mehr als nur ein instrumentaler Farbtupfer. Sein herausforderndes, polyfones, sperriges Klavierspiel prägt das gesamte Konzert und verleiht auch Ralph Alessi vor allem im zweiten Set scheinbar eine zusätzliche Prise Rückenwind.

Irgendwann vermisst niemand mehr einen Bass, weil jeder diese karge und doch so ungeheuer reiche Musik längst verstanden und sie zu seinem eigenen, individuellen Klangerlebnis geformt hat. Deshalb gilt dem Publikum im beinahe ausverkauften Birdland-Jazzclub ein hohes Kompliment für die konzentrierte Zuhörleistung. Reich belohnt wird es nicht nur mit einer Reise durch diese virtuose Wunderwelt, sondern auch mit „Old Baby“, der hinreißend lyrischen Zugabe voller fragiler, karger, entkernter Schönheit. Und ja: Das gewisse Etwas in diesem filigran lyrischen Abgesang zaubert ein inzwischen merkwürdig vertrauter Grundklang hervor, der den Zuhörer sanft in eine ferne Märchenwelt zwischen freiem Fall und tiefem Urvertrauen schubst. Deshalb sind Konzerte mit dem Ralph Alessi Trio immer Unikate. Und dieses hier in Neuburg ist ein besonders schönes Exemplar.