Sir Roland Hanna Trio | 09.03.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Höchstens eine Randnotiz: Als ein Gast Roland Hanna am Ende des Konzerts nach Tonträgern fragt, zuckt der nur lächelnd mit den Achseln. Seit beinahe zehn Jahren habe ihm niemand mehr die Möglichkeit gegeben, eine Trioplatte aufzunehmen. Während der freundliche Sir diesen Umstand mit dem Gleichmut des Überlebenskünstlers längst akzeptiert hat, mag der Fan partout nicht glauben, was er da hört: „Unmöglich, einen solch tollen Pianisten im Regen stehen zu lassen!“

Aber so laufen nun mal die Dinge in einem Business, das mit zunehmendem Alter immer lauter nach neuen Trends schreit und seine weisen, leisen Stilbildner dabei einfach wie eine Last abschüttelt. Der 70-jährige Tastenvirtuose, dessen Kreativitätspotenzial heute überwiegend in Big Bands explodiert, genießt deshalb solch rare Momente wie diesen im Neuburger „Birdland“-Jazzclub. Gemeinsam mit dem japanischen Bassisten Yoshio Aomori (großer, eleganter, präsenter Ton) und dem amerikanischen Schlagzeuger Chris Roselli (variantenreich, manchmal aber zu rockig) schwelgt er sich erfrischend unnostalgisch durch ein Repertoire, das überall auf dem Index der Normenwächter der Jazzpolizei steht.

Immer wieder schlendert Hannas Händchen voller verspielter Romantik daher, dann schlurft die rechte Pranke im tiefen Monkschen Büßergang übers Elfenbein, um schließlich voller Seligkeit in einen Stride á la Fats Waller hinein zu tänzeln. Ein, zwei Mal wagt die unscheinbare Legende, die einst mit Benny Goodman, Coleman Hawkins oder Dizzy Gillespie auf Bühnen oder in Studios stand, pfiffige, unerwartete Sidesteps von der Bauch- zur Kopfmusik, adaptiert sogar die intellektuelle Pianistik von Satie und zeigt, dass Jazz weitaus mehr sein kann, als bloß eine reproduzierbare Schablone.

In der Hauptsache nämlich Individualität, über die er anlässlich der programmatischen Eigenkomposition „I love Bebop“ gar trefflich philosophiert. Sir Roland benutzt als einer der wenigen Improvisatoren noch Notenblätter, und entsprechend viele Noten ohne umständliche Pause tröpfeln ihm auch von der Tastatur. Bei „One for Amos“, einem knallbunten Feuerwerk an Triolen, Akkorden und schlängelnden Linien, im wunderschönen „Round Midnight“, das von zwölf gespenstischen, synkopierten Glockenschlägen eingeleitet wird, oder „Manhattan Safari“, einem muskulösen Parforceritt durch den Dschungel der Großstadt.

Aber gerade mit der unbegleiteten, sanft dahin fließenden Zugabe „Warm Valley“ aus der Feder von Johnny Hodges holt Hanna die wesentliche Erkenntnis ins Bewusstsein des gespannt lauschenden Publikums zurück, dass einst Cole Porter oder George Gershwin die Songs schrieben, die als Weiterführung der Werke Mozarts, Bachs und Beethovens galten. Jazz als die neue Klassik. Damals, in einer vergessenen, verleugneten Zeit.