Gilad Atzmon & The Orient House Ensemble | 05.03.2002

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Der israelische Klarinettist und Saxophonist Gilad Atzmon bot bei seinem Auftritt im Birdland Jazzclub nicht nur musikalische Anregungen, sondern in einem ausführlichen Statement zur Lage in seinem Heimatland auch politisch Nachdenkenswertes. Eingeladen hatten der Birdland Jazzclub und die Bürgerbewegung für Menschenrechte gemeinsam mit den Initiatoren der derzeit im Rathausfletz laufenden Chagall-Ausstellung.

Vor der Musik die Politik: Gilad Atzmon sieht die Situation in seinem Heimatland Israel mit Schmerz, Trauer und Sorge. Der Israeli, der seit einigen Jahren nicht mehr in der Heimat lebt, sieht die Hauptursache der Schwierigkeiten in Israel im heutigen Zionismus: Der sei geprägt durch Rassismus, Nationalismus und eine missverstandene Religion, vor allem aber durch das Überlegenheitsgefühl der jüdischen Bevölkerung. Solange diese Ingredienzien das Bewusstsein prägen, solange gibt es für Israel kaum Hoffnung, ist Gilad Atzmon überzeugt. Nur massiver internationaler Druck könne zu einem einigermaßen stabilen Zustand in der Region führen, äußert der pessimistische Renegat, der mit musikalischen Mitteln gegen den Krieg in seiner Heimat zu Felde zieht. Sein Appell zur Überwindung des Hasses spiegelt sich in seiner Musik, die jüdische und arabische Folklore im Idiom des zeitgenössischen Jazz amalgamiert: „Manchmal kommt es mir so vor, als sei meine Klarinette der einzige Ort, an dem Juden und Araber in Frieden miteinander leben.“ Gilad Atzmon und sein mit hervorragenden jungen Musikern besetztes Orient House Ensemble vermengen traditionelle Klänge jüdischer und arabischer Herkunft mit Bebop und Postbop, Standards und Nostalgie, Klezmer und Pop. Beeindruckend gelingt in „20th Century“ eine lautmalerische Klangcollage, die der Gewalt das Leid gegenüberstellt, dem Lärm der Rechthaber das Schweigen der Opfer und dem Hass das Erschrecken über seine Auswirkungen.