Scott Hamilton Quartet | 11.09.2020

Neuburger Rundschau | Peter Abspacher
 

Endlich, nach einer langen Zwangspause wegen dieses elenden Virus, gibt es wieder Live-Jazz im Birdland Neuburg. Das Team um Impresario Manfred Rehm hatte zwar auch in Coronazeiten über Youtube komplette Sets früherer, starker Konzerte ins Internet gestellt, mit bester Tonqualität – und dieses Angebot wurde auch tausendfach angenommen. Aber jede gute Musik lebt halt vom direkten Erleben, für den Jazz gilt das ganz besonders.

Das Scott Hamilton Quartet war für diesen Neustart in eine Saison unter ungewöhnlichen Vorzeichen die denkbar beste Lösung. Diese Formation besticht durch ein feines Feeling für eleganten Swing, für intensiven Soul und für ein musikalisch dichtes, zugleich diszipliniertes und freies Zusammenspiel.

Der weltbekannte Tenorsaxofonist Hamilton setzt vom ersten Ton an die entscheidenden Akzente.
Der mittlerweile 65-jährige Amerikaer steht diesmal ganz hinten auf der Bühne, weil er als Bläser einen besonders großen Abstand zum Publikum einzuhalten hat. Aber die Präsenz dieses mit allen Wassern gewaschenen Saxofon-Großmeisters ist umwerfend. Seine große Leidenschaft für die Jazz-Ballade ist für jeden Zuhörer körperlich spürbar, vielleicht noch stärker als unter normalen Bedingungen. Von etlichen Plätzen aus kann man den Bandleader Hamilton nämlich kaum sehen, umso genauer hören die Jazzfans ihm bei diesem Konzert zu. Und erleben damit, wie viel man auch aus ganz wenigen Tönen machen kann.

Von der veränderten Aufstellung des Quartetts profitiert, wenn man so will, der Mann am Kontrabass, der normalerweise aus dem Rückraum seinen Beitrag zum unverwechselbaren Sound dieser Band leistet. Rudi Engel steht nun ganz vorne, die nötigen 1,50 Meter von den ersten Zuschauerplätzen entfernt. Man kann ihm bei seinen wilden Ritten über das gesamte Griffbrett genau auf die Finger sehen. Schon das ist ein Genuss, von der musikalischen Qualität seiner Soli ganz zu schweigen.

Mit dem „Chef“ am Saxofon wirft der Bassist die musikalischen Gedanken und Motive locker hin und her, gleiches gilt für die kammermusikalisch geprägte Nähe zum Pianisten Bernhard und Michael Keul am Schlagzeug. An diesem Abend dürfen die Zuhörer Mainstream-Jazz der gepflegtesten Art genießen, perfekt in der Abstimmung der vier Instrumente, mit untrüglichem Gespür für Tempi, für die Dynamik und für die Feinheiten von Rhythmus und Klangfarbe. Niemand
spielt sich in diesem Quartett in den Vordergrund, keiner produziert sich beifallheischend bei seinen Solopassagen, alle vier arbeiten mit sichtbarer Freude an einem überzeugenden Gesamtkunstwerk.

Bernhard Pichl am Klavier und der Schlagzeuger Michael Keul sind Meister im dezenten Stil, sie streicheln oft geradezu die 88 Tasten des Bösendorfer-Flügels oder die Trommeln und Becken. Ihre Präsenz ist bei den lyrischen Songs wie etwa „deep line“ geprägt von einer selbstverständlichen Leichtigkeit, auch in den rasanteren Stücken, die technisch herausfordern. Sie packen zu, wenn es sein soll, aber sie lassen sich auch bei emotionalen Aufschwüngen nicht dazu verführen, einmal richtig reinzuhauen.

Im Scott Hamilton Quartet sind vier Musiker am Werk, die sich einer besonderen Klangkultur verschrieben haben. Keiner will da für ein paar Takte oder für ein längeres Solo der Star sein, die Band insgesamt ist der Star.