Scott Hamilton Quartet | 11.09.2020

Donaukurier | Karl Leitner
 

Scott Hamilton steht an zwei Abenden hintereinander, beide selbstredend ausverkauft, auf der Bühne des Neuburger Birdland-Jazzclubs. Hätte er als Amerikaner nicht seinen Wohnort in Italien, könnte er das nicht. Normaler­weise ist sein Platz ganz vorne an der Bühnenrampe, diesmal nicht. Man hat ihn im Hintergrund platziert, damit er möglichst große Distanz zum Publikum hat. Für Bläser wie ihn sind die Vor­schriften besonders streng.

Wenn er nicht gerade seinen unver­gleichlichen Ton erklingen lässt, grinst er ins Publikum. Nicht nur für die Leute im Saal beginnt nach langer, pandemiebe­dingter Durststrecke die Konzertsaison, nicht nur für das Team des Birdland, auch für ihn und seine Mitmusiker. Es ist wohl keiner anwesend an diesen beiden Abenden, die sich diesen Augenblick nicht sehnsüchtig herbei gewünscht hät­ten. Der Jazz-Bazillus hat das Birdland fest in der Hand, da kann man die Exis­tenz des Corona-Virus getrost mal für ein paar Stunden ausblenden.

Hamilton ist nicht zum ersten Mal zu Gast im Birdland. Aber war er jemals so gut? Traf er je mit seiner ganz persönli­chen Variante des Mainstream Jazz so punktgenau den Nerv des Publikums? Er spielt zwei lange Sets, und das Auditori­um ist einfach nur hingerissen. Vom ers­ten Augenblick an. Duke Ellington’s „Three Little Words“, Dizzy Gillespie’s „Tin Tin Deo“, Lucky Thompson’s „The Plain But The Somple Truth“ sind ein­fach nur purer Genuss. Und dann erst die Balladen, allen voran Leslie Bricusse’s „Pure Imagination“. Hamilton spielt sie – trefflich assistiert von Bernhard Pehl am Klavier, Rudi Engel am Kontrabass und Michael Keul am Schlagzeug – mit wahrer Hingabe. In ihnen liegt echte Emotionalität, sie sind eine Liebeserklä­rung an den Jazz und zugleich ein Beleg dafür, was man aus seit vielen Jahren existierender Jazzliteratur noch alles herausholen kann.

Hamilton, beeinflusst von Ben Webster und dessen warmem Ton, steht in einer Linie mit Giganten wie Coleman Haw-kins, Lester Young und Zoot Sims. Folgt man einem seiner Soli, kommt man sich vor, als würde man jemandem lauschen, der sich gerade mitten in einer Konver­sation befindet. Erst hört man die Stim­me, den intimen aber bestimmten Ton des Saxofons, dann kommt der informel­le Teil, dann der fließende, beredte Kom­mentar, die Übersetzung in die Sprache des Jazz.

An diesen Abenden im Birdland ist er bei aller Leichtigkeit besonders wortge­waltig, seine Leidenschaft steckt die Band an und auch das Auditorium, seine Spielfreude wird zu dessen Hörfreude. Billy Reid’s „I’ll Close My Eyes“ ist eine der letzten Nummern im Programm. Längst haben viele im Publikum eben dies längst getan. Mit geschlossenen Au­gen kann man ja bekanntlich mitunter in­tensiver hören und das Gehörte besser genießen. Hamilton’s akustische Erzäh­lungen sind genau der richtige Anlass dafür.