Sandro Zerafa „More Light“ | 14.02.2020

Neuburger Rundschau | Peter Abspacher
 

Heinrich von Kleist hat nicht nur große Dramen geschrieben, sondern auch einen kleinen Text unter dem Titel „Die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden“. Was aus tastenden, unscheinbaren Anfängen werden kann, darum geht es in diesem fast vergessenen Stück – vorausgesetzt, es ist eine gewissen Substanz vorhanden, sonst wird aus der Verfertigung bald eine Verflüchtigung ins rhetorische Nirwana.

Die sanfte Art von Jazz, die der Gitarrist Sandro Zerafa mit seinen drei Kollegen am Piano, Bass und Schlagzeug in den Birdland-Keller stellte, wirkt anfangs schwebend leicht, ja einfach. Aber sie entwickelt sich fast unmerklich zu einem raffinierten kompositorischen Konstrukt. In Abwandlung von Kleist könnte man sagen, da war eine allmähliche Vervollkommnung scheinbar simpler Motive beim Spielen mitzuerleben. Aus dem Nebel von vier oder sechs Tönen hin zu einer musikalischen Leuchtkraft. Das Motto des aktuellen Albums „More Light“ ist nicht nur ein Gag, es wird eingelöst.

Im gesamten ersten Set spielt dieses Quartett – neben Zerafa Yonathan Avishai am Klavier, Yoni Zelnik am Bass und der Schlagzeuger Lukmil Peres-Herrera – kammermusikalisch dicht. Es gibt keines der im Jazz üblichen großen Soli (die sind erst im zweiten Teil zu hören), Motive und Melodien wandern durch die vier Instrumente, werden ausgedeutet und zu einem Sound voll Raffinesse verwoben. Es gibt Anklänge an viele Stilrichtungen, an lateinamerikanische Klänge und die aktuelle New Yorker Schule.

Mit einer seltenen Kombination aus fast lässiger Leichtigkeit und intellektueller Disziplin gehen die vier Jazzer zu Werke. Der Pianist Yonathan Avishai spaziert mit spitzbübischem Charme über die Tasten, er zelebriert einen weichen und zugleich klaren Sound, am Bass bringt Yoni Zelnik auch die ganz tiefen Regionen zum Leuchten. Der Schlagzeuger Lukmil Perez-Herrera läst sich einfach nicht dazu hinreißen, mit Knalleffekten dazwischenzufunken, der Kubaner liefert den Beweis dafür, wie präsent Trommeln und Becken auch in leisen, lyrischen Stücken wirken können. Und der Bandleader an der Gitarre genießt die Qualitäten, die seine Mitstreiter entfalten, vertieft sich in seine Melodiebögen und gibt ab und zu mit einem aufmunterndem Zunicken die Führungsrolle weiter.

Zu bestaunen sind musikalische Leuchtfeuer, wie etwa ein rasanter Song, der nach dem englischen Titel soviel wie „Ochsenfrosch“ bedeutet. Oder, vielleicht noch überzeugender, ein kunstvoll aufgebautes Stück namens „Elis“. Der Kern ist ein simples, sofort ins Ohr und wegen seines markanten Rhythmus auch in die Beine gehendes Motiv aus vier Tönen. Was dieses Jazzer-Quartett daraus über einige spannende Minuten fabriziert, ist für die Zuhörer wie für die Aktiven auf der Bühne ein großer musikalischer Spaß. Das Basis-Motiv sucht sich immer wieder einen neuen Interpreten, der es vergrößert, verwandelt oder fast verschwinden lässt, ehe die wohlbekannte Tonfolge wieder auftaucht – oft im Bass, der als eine Art Anker für die Wiedererkennungsfreude fungiert. Ein tolles Kunststück, das allein schon das Eintrittsgeld lohnte.