Helmut Nieberle – Nachruf | 11.02.2020

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Im Neuburger Birdland-Jazzclub und bei dessen Fans fließen die Tränen. Helmut Nieberle, der seit Eröffnung des Kellers unter der Hofapotheke vielfach in der Ottheinrichstadt in verschiedensten Formationen gastierte, hier viele Freunde besaß und vor allem zu Birdland-Impresario Manfred Rehm sowie Mäzen Fritz von Philipp eine intensive persönliche Beziehung unterhielt, ist am Sonntag im Alter von nur 63 Jahren nach schwerer Krankheit gestorben.

Erst am 20. Dezember war der Regensburger Gitarrist noch einmal im Birdland zu Gast mit Schiebermütze und kurz nachgewachsenem Haar nach einer Therapie – leider nicht mit seinem „Zwilling“ Helmut Kagerer, der an einer Handverletzung laborierte, sondern mit Paulo Morello, einem seiner früheren Schüler. Es wäre das 30. Konzert der beiden Helmuts in ununterbrochener Reihenfolge gewesen, ein weiteres Alleinstellungsmerkmal des Jazzclubs, der als einer der schönsten weltweit gilt. „Es war uns jedes Mal eine Ehre und ein Vergnügen, zwei absolute Weltklasse-Gitarristen, die nur eine Stunde entfernt in Regensburg wohnen, gemeinsam auf der Bühne zu haben“, erklärte ein bestürzter Manfred Rehm. „Und Helmut Nieberle ist sicherlich der Musiker, der in unserer 61-jährige Geschichte am häufigsten in Neuburg aufgetreten ist. Vergangene Woche haben wir noch miteinander telefoniert. Er wusste um die Aussichtslosigkeit seiner Krankheit. Dabei hat er sich bei mir verabschiedet und sich für die vielen schönen Stunden in unserem Club bedankt, die ihm sehr viel bedeuteten. Ich bin sehr, sehr traurig!“

Helmut Nieberle hatte Manfred Rehm sogar den launigen Jazz-Walzer „Valse A Chef“ gewidmet, der auf seiner letzten, 2019 erschienen CD „Swing Is Here To Stay“ zu hören ist. Das Birdland war für ihn wie ein Wohnzimmer, in das er beinahe monatlich zurückkehrte, sei es auf oder als bloßer Fan vor der Bühne, um Superstars wie John Scofield, Joe Pass, Tal Farlow, Attila Zoller, Charlie Byrd oder Pat Martino bewundernd auf die Finger zu schauen. Seit 1991 gehörte das legendäre Duo Kagerer-Nieberle, das 2007 den begehrten Archetop-Germany-Award gewann, zum unverzichtbaren Bestandteil der Vorweihnachtszeit im Club. Doch auch die Duos mit dem amerikanischen Saiten-Kollegen Howard Alden, seinem britischen Gitarren-Komplizen Jim Mullen, die Intermezzi mit Gleichgesinnten wie dem Klarinettisten Stephan Holstein, sein Herzensprojekt Cordes Sauvages („Wilde Saiten“) – eine heißblütige Reminiszenz an sein großes Vorbild Django Reinhardt – und das Klassik-Jazzensemble Bolero Berlin setzten unvergessliche Meilensteine in der Geschichte des Birdlands. Martin Stegner, Violoncellist der Berliner Philharmoniker und Mitglied von Bolero Berlin, brachte Nieberles besondere Qualität in einer posthumen Botschaft auf den Punkt: „Mit Dir zu musizieren war ein Traum: Du konntest jemanden tragen wie kein anderer!“

In der Tat: Andere zu tragen, ausschließlich der Musik zu dienen, das war Helmut Nieberles wahre Stärke. In Kaufbeuren geboren und 1980 nach Regensburg gekommen, wo er an der städtischen Musikschule als Gitarrenlehrer mehrere hundert Schüler unterrichtete, die zum Teil heute selbst große Namen tragen, gab er selbstlos sein Wissen weiter. Nieberle blieb bei aller Popularität immer auf dem Boden, schmückte bescheiden und uneitel jeden Song aus, erzeugte Stimmungen und drängte sich nie in den Vordergrund. Er liebte die Sangbarkeit der Jazzthemen, die auch ohne Texte funktionierten, produzierte auf seinen siebensaitigen Gitarren viele Gegenmelodien und raffinierte harmonische Details, manchmal auch auf der Ukulele. Seine Kompositionen waren verschmitzte Juwelen, für die er zuerst Songtexte schrieb, „weil ich mit Text einen viel besseren Song komponieren kann – und dann lass ich den Text einfach wieder weg“, wie er in einem Interview mit seiner ansteckenden Gelassenheit hervorhob. So jonglierte Nieberle keck mit den Genres, kombinierte sie und übersetzte den alten Standard „Pennies From Heaven“ beispielsweise in „Bitcoins From Hell“.

Aktiv blieb er sprichwörtlich bis zum letzten Atemzug. Genau eine Woche vor seinem Tod trat er noch einmal in seiner Wahlheimat Regensburg auf, um BR-Jazzredakteur Roland Spiegel bei einer Matinee anlässlich der Vorstellung seines neuen Buches zu begleiten. „Nieb“, wie sie ihn alle nannten, spielte solo, mit ungewöhnlich starker emotionaler Präsenz. Eines der Stücke war das irische Abschiedslied „Danny Boy“, das er mit einer noch nie gehörten Innigkeit und zärtlichen Dringlichkeit interpretierte. Sein leises, persönliches Servus.