Samuel Blaser Trio | 11.11.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Sogar abstrakte Bilder haben in der Regel einen Rahmen. Der Betrachter darf den Inhalt frei interpre­tieren, der Rahmen aber soll schon zu dem pas­sen, was auf dem Bild zu sehen ist. So ähn­lich ist das auch mit der Musik des Sa­muel Blaser Trios. Nicht umsonst ste­hen Notenpulte mit Blättern auf der Büh­ne, als die Band im Birdland auftritt und dort ihre Europatournee eröffnet. „Wir spielen schon richtige Stücke“, sagt Schlagzeuger Peter Bruun aus Kopenha­gen, „aber was im Mittelteil passiert, ist völlig offen“.

Offen, ja, und deswegen sind den gan­zen Abend für Assoziationen des Publi­kums und Bilder im Kopf Tür und Tor geöffnet. Nun gut, wenn ein Stück „L’été“, ein anderes „Squirrel“ oder „La Vie Sans Toi“ heißt, wird man durchaus in eine gewisse Richtung geführt, aber wenn Bandchef Samuel Glaser, der Po­saunist aus La Chaux-de Fonds im Schweizer Jura, die Titel nicht ansagt, man also nicht weiß, welcher Art Asso-zia­tion bereits hinter dem Akt des Kom­ponierens steckte, sind der Phanta­sie kei­ne Grenzen gesetzt. Der Schreiber dieser Zeilen etwa meinte, kurz vor dem Ende des ersten Sets Spuren von „Amazing Grace“ wahrgenommen zu haben, um im Pausenge­spräch zu erfahren, dass er da wohl der einzige war.

Blaser ist einer der wichtigsten Posau­nisten der europäischen Improvisations­szene. Er vergrößert ständig den Einsatz­bereich seines Instruments, ohne dessen klangliche Identität zu verwässern. Man­gelsdorff’sche Growls und den von je­nem seinerzeit eingeführten Einsatz der Stimme baut er ebenso in sein Spiel ein wie stilistische Einflüsse jeglicher Cou­leur. Als musikalischer Freigeist fühlt er sich von jeder Art Musik magisch ange­zogen. Das gilt auch für seine Partner, und so kann die Band „marschieren, tau­meln, grooven, köcheln oder aufflam­men, je nach den Bedürfnissen des Au­genblicks“, wie ein Kritiker schrieb.

Sein Partner ist neben dem unbere­chenbaren, permanenten Unruheherd Bruun am Schlagzeug Gitarrist Marc Ducret aus Paris, mit dem Blaser schon viele Projekte verwirklicht hat. Bei ihm ist nicht nur interessant, was und wie er spielt, sondern auch, welchen Sound er dafür verwendet. Das elektrisch verstärk­te Instrument plus diverse Effektgeräte und Pedale bieten ihm zahllose Möglich­keiten. Ducret ist Finger- und Flatpicker, tappt und slappt, bringt das Bottleneck zum Einsatz. In manchen Passagen ge­hen einem als Zuhörer Robert Fripp’s vor allem bei Livekonzerten gerne auftau­chenden „Improvs“ durch den Kopf, wo­bei natürlich auch dies assoziativ ist.

Obwohl man Blaser und seine Kollegen sicherlich als Freigeister bezeichnen darf, verfolgen sie eine Absicht, nämlich die, frei fließende Klangströme zu erzeu­gen und dabei kompositorische Raffines­se, abstrakte Improvisationen und an der Basis orientierte Grooves höchst kunst­voll miteinander zu verquicken. Das Pro­grammheft des Birdland spricht von ei­nem „Klangversuchslaboratorium voller Überraschungen“ und trifft damit absolut den Kern. Ausschnitte dieses höchst au­ßergewöhnlichen Konzerts – wie auch aller anderen des Birdland Radio Jazz Festivals – sind am kommenden Sams­tag, 19. November, im Rahmen der vier­stündigen Liveübertrag­ung aus dem Birdland ab 22.05 Uhr auf Bayern 4 Klassik und anschließend ab 0.05 Uhr auf BR 2 zu hö­ren.