Samuel Blaser Quartet | 03.11.2012

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Schade eigentlich, dass noch über 50 Jahre nach Erscheinen der legendären gleichnamigen Platte von Ornette Coleman der Begriff „Freejazz“ im Programmheft eher wie ein Fanal zum Wegbleiben wirkt. Schade zugleich, dass der Geschmack von Freiheit und Abenteuer im Jazz eher abzuschrecken scheint als positive Erwartungshaltungen auszulösen.

Schade aber auch, dass es nach wie vor nicht in ins Hirn von so manchem ambitionierten Jazzer hineingehen mag, dass ein Konzert der Dramaturgie bedarf um das Publikum für den Ausflug auf’s freie Feld vorzubereiten und mitzunehmen. So wirkten denn die zeitweise überaus spannenden, anspruchsvollen, trickreich komponierten und unterhaltsam, lebhaft und elektrisierend improvisierten „Boundless Suites“ des Samuel Blaser Quartets an diesem durchaus denkwürdigen Abend im Neuburger Birdland zunächst reichlich fragmentarisch, erschlossen Struktur und Publikumswirksamkeit erst nach einiger Geduld.

Wo jüngst Ray Anderson Tradition und Avantgarde auf dem gleichen Instrument schlüssig und begeisternd aufeinander zu beziehen vermochte, kam nun der Posaune Samuel Blasers die Rolle zu, ungestüm und unversehens ins freie Spiel zu stürmen, ohne Netz und doppelten Boden, heftig, kräftig, grell.

Vor dem von Bänz Oester und JeffDavis an Bass und Schlagzeug mal sparsam, mal mit klarer Kante definierten Hintergrund, reichlich laut dabei, spielten sich mit Blaser und dem Gitarristen Marc Ducret zwei nachgerade spielwütige Solisten weniger die Bälle zu als musikalische Granaten, jederzeit kurz vor der Explosion.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Was da auf der Bühne des Birdland passierte, hatte hohe, nicht nur virtuose Qualitäten, ließ aus dem nur vordergründigen Chaos immer wieder Struktur, interaktiven Gemeinsinn und hohe Kohärenz erkennen, gab zugleich den Ohren einen Freifahrtschein auf der Achterbahn und dem Hirn jede Menge Nahrung.

Blasers herausragende Fähigkeiten an der Posaune zeigten sich in tricky Tempo ebenso wie in einer vom virtuos eingesetzten Dämpfer unterstrichenen Mehrstimmigkeit sowie im weidlichen Ausloten klanglicher Möglichkeiten des Instruments. Und Marc Ducret ist sowieso einer der ausgebufftesten Gitarrenfreaks, die die Szene kennt, Wanderer zwischen den Welten von Prog—Rock, Hardcore-Jazz und avantgardistischer Experimentierfreude.

Bei allen Vorurteilen und Adaptionsproblemen: Solche Musik ist viel zu schade um wegzubleiben, ist sie doch durchpulst von einer Vitalität, die so mancher vermissen dürfte in allzu selbstzufriedener Zeit, heute wie zu Beginn der 60er!