Tief im Delta des Mississippi, dort wo die Sümpfe und der Blues niemanden mehr loslassen, lebt Russell Malone. Ein Bursche aus dem heißen Süden, der sich so herzerfrischend von dem ganzen Rudel distinguierter New Yorker „Young Lions“, für die Musik häufig nur in einem akademisch festgelegten Schema passieren darf, unterscheidet.
Dieser Malone nimmt sich, was ihm in die Finger kommt: den inbrünstigen Zauber der Gospels und Spirituals, die körperliche Konsistenz von Funk und Soul, die knisternde Energie des Swamp-Rock. Selbst die rassistisch geprägte Scheinheiligkeit des Country benützt der farbige Gitarrist ohne Vorbehalte, um ein möglichst wahrheitsgetreues soziokulturelles Bild seiner Heimat nachzuzeichnen. Warum Russell Malone trotzdem als Jazzer reinsten Wassers bezeichnet werden muß, war jedem der Besucher des restlos ausverkauften „Birdlands“ spätestens nach Ende seines Neuburg-Gastspiels klar. Denn wer dermaßen geschickt, kunstvoll und unterhaltsam verschiedene Elemente zu einem völlig eigenen, grandiosen Stil verschmelzen läßt, der muß in der Tat einer der großen Gitarristen dieser fürwahr heldenarmen Zeit sein.
Wer denkt in einem Augenblick wie diesem schon an Pat Metheny, Leo Kottke oder John Lee Hooker? Malone beherrscht sie alle und noch einige mehr, verblüffend im Sound, täuschend echt in der Stilistik. In „Lil`Darlin`“ greift er auf die flüssige Eleganz des phänomenalen Fingerpickers Wes Montgomery zurück, nach den wellenförmigen George-Benson-Grooves in „Midnight Blues“ wählt er mächtig attackierende, an Django Reinhardt erinnernde Läufe in „Someone`s Rocking my Dreamboat“, bis der Hüne schließlich samt Band unvermittelt in extrem leise, fast zeitlupenartige, schwerelos fließende Melodiebögen („Rise“) versinkt – Medizin für Körper und Seele gleichermaßen.
Mal klingt seine Gibson wie B. B. Kings „Lucille“, dann tönt sie wie das Hillibilly-Schrammelobjekt eines Willie Nelson, bis sich der aufgekratzte Malone schließlich – animiert durch den süffigen Sound des Röhrenverstärkers – gar auf die Powerschiene eines Johnny Winter und Jimi Hendrix (mit Zungensolo!) begibt. Überhaupt greift der 35jährige Spätstarter gerne und oft in seinen ausschweifenden Improvisationen auf Bekanntes zurück. „Tequilla“, Michael Jacksons „The Girl Is Mine“ oder „Rawhide“ – Zitate fallen bei ihm wie vollreife Kirschen vom Baum.
Doch Russell Malone läßt solcherlei Spielereien nie zur bloßen Nabelschau verkommen. Seine Performance dient ausschließlich dem Zweck, zusammen mit einem perfekt abgestimmten Begleitmotor (dezitiert am Piano: Anthony Wonsey, erbarmungslos treibend am Kontrabaß: Richie Goods, enorm variabel am Schlagzeug: Byron Landham) eine Art Ohrenkino zu erzeugen. Ob der Zuhörer nun dabei die Lagerfeuer-Romantik aus der Marlboro-Werbung ableitet oder sich an die urbane Dynamik eines Bebop-Clubs an der Lower East Side erinnert fühlt, bleibt eine Sache der persönlichen Sichtweise.
In der erstaunlichen Reaktion auf solch pralle Virtuosität finden sich schließlich alle im Hofapothekenkeller wieder: pfeifend, johlend, zufrieden, glücklich. Unter einem bunt schillernden Regenbogen der Stimmungen, den Russell Malone mit nur einem einzigen Griff evozieren kann. Ein unglaubliches Konzert!