Russell Gunn Quartet | 11.05.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Das Piano fiebert, der Bass dreht sich unaufhörlich um die eigene Achse, das Schlagzeug treibt wie ein Jockey auf der Zielgerade und die Trompete bläst locker den Putz von der historischen Decke. Auch die Jungs dahinter sind cool. Distinguierter Musikernachwuchs aus Brooklyn mit Rastalocken, Schlabberhosen, Hornbrillen, die Uniform der Street Credibility. Besondere Kennzeichen: black, proud and cool. Keine Ansage, kaum ein Blick fürs Publikum im Neuburger „Birdland“-Jazzclub. Obercool. Dafür spielen, spielen, spielen und noch mal spielen.

Von der Bühne schwappt einem eine Mixtur aus dem entgegen, was man heute immer etwas hilflos mit dem Wort „Mainstream“ umschreibt, dezent gewürzt mit den gepfefferten Beats der Gegenwart. Jazz für die Beine. Akademischer Dancefloor. Ständig am Limit. Akustischer Starkstrom. Fluktuierende Prozesse. Wirklich cool. Und wirklich gut.

Über der Darbietung des Quartetts schwebt eine permanente Dunstglocke aus Schweiß, heißem Atem und Pulverdampf. Wer sich angesichts des Namens und der Vehemenz des Auftritts von Russell Gunn unweigerlich mit der Parabel von der rauchenden Trompete konfrontiert sieht, der liegt so verkehrt nicht damit. Der Hoffnungsträger kontert jede Herausforderung mit verblüffender Power, Volldampf sowie einem Sperrfeuer an High Notes und Growls, wie es vor ihm eigentlich nur Hannibal Marvin Peterson auf diesem Schwindel erregend hohen Level durchhielt. Gern lässt er die Muskeln spielen, kokettiert damit, dass er alles kann und jeden kennt, sei es den Hiphopper Maxwell, den Altrocker Lou Reed, den Avantgardisten Oliver Lake, den Avant-Popper Buckshot LeFonque alias Branford Marsalis sowie dessen traditionalistischen Bruder Wynton.

Doch im Gegensatz zu seiner jüngsten Platte beschränkt sich die Gunn-Band mit dem sperrigen, fast morseartig phrasierenden Pianisten Marc Cary, dem füllig-funkigen Bassisten Neil Cain und dem unglaublich variablen, antifonischen Drummer Woody Williams nicht nur auf bloße akustische Kraftmeierei. Da gibt es erstaunlich viele prickelnde Auszeitballaden, hingetupft, angehaucht, bei denen die unbändige Energie für das lichterloh entflammte Auditorium direkt unter der dünnen Oberfläche zu spüren ist.

Des Leaders Zunge flattert im Mundstück hin und her wie eine Klapperschlange auf Beutezug, er presst, zieht und verschleift die Töne mit einer Inbrunst, dass es einem wohlige Schauer über den Rücken jagt. Urgewaltig, ständig nach einer Fluchtmöglichkeit spähend, durchdringen seine strahlenden Attacken sogar meterdicke Mauern und sind ohne Mikrofon noch auf der angrenzenden Amalienstraße zu hören.

Verblüffend bei den vier toughen, selbstbewussten Jungs, denen wirklich keiner zu erklären braucht, wie der Job funktioniert, ist freilich deren inbrünstige Liebe zu den alten Jazzstandards. Diese klingen unter ihren Händen, als wären sie gerade erst an jenem Abend für einen Videoclip kreiert worden. Die Vergangenheit holt dabei die Zukunft ein und beschreitet eine tragfähige Brücke zwischen Groove und Avantgarde. Russell Gunn formt Traditionalismus und Moderne so unbefangen, wie dies ein junger Mensch mit gerade mal 30 Jahren eben tut. Berechtigte Hoffnung für den Jazz; auf dass die Musik der Alten wieder eine der Jungen werden könnte. Echt cool.