Russell Gunn Quartet | 11.05.2001

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Selten wohl in den letzten Jahren dürfte eine derart energiegeladen auftrumpfende Trompete im Neuburger Birdland zu hören gewesen sein wie die des 30jährigen Russell Gunn. Mit offensivem Post-Bop von spannungsreicher Präsenz ließ der Rising Star den Keller unter der Hofapotheke förmlich erzittern.

Ein kraftvoller Ton von brillanter Strahlkraft, klare Attacke im Ansatz, kühne Phrasierung und eigenwillige Time, aber auch brüchige Empfindsamkeit und kühler Stolz, Russell Gunn hat alles verinnerlicht, was ein Trompeter von Louis, Dizzy und Miles nur lernen kann, und er trägt es mit frappanter Technik und selbstbewusster Persönlichkeit ins 21. Jahrhundert. Das ist wieder einer der jungen Löwen, die nach allen möglichen Experimenten und Koketterien mit dem Zeitgeist zu einer akustischen Form des Jazz zurückfinden. Russell Gunn bietet all jene Tugenden, die dem Bebop seinerzeit das Zeug zu immerwährender Jugend gaben: Mitreißender Groove, eigenwillige Entgrenzung erstarrter Formen, selbstbewusste Intellektualität und kochende Emotionen. Das Publikum reagierte mit Begeisterung auf ein Quartet mit vier herausragenden Musikern der jüngeren Generation: Russel Gunn, dessen Trompete die ganze Bandbreite zwischen fragiler Verletzlichkeit und fast schon brachialer Wucht abschreitet, und Neil Cain, dessen Bass mit elegantem Groove und trockener Geschmeidigkeit lustvoll und funky die Harmonien ausreizt. Schlagzeuger Woody Williams präsentiert sich als Magier der Vorwärtsbewegung, sorgt druckvoll und unverquast für den richtigen Drive. Eine echte Entdeckung ist Marc Cary: Der Pianist jagt mit geläufiger Eloquenz durch das Dickicht der 88 Tasten, eigenwillig, überlegt und mit fast schon paradox wirkender Überwindung aller Widerständigkeiten in flüssiger Souveränität und lässigem Understatement. Aber was das Schönste ist: Die Mischung stimmt auf den Punkt genau, swingt, dass es nur so eine Freude ist. Das Russel Gunn Quartet bot Jazz, der das ganze 20. Jahrhundert enthält, from Spiritual to Free, in einer Form, die tauglich ist weit über das Jahr 2001 hinaus.