29th Street Saxophone Quartet | 24.05.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Du denkst nichts Böses, nippst entspannt an einem Chardonnay, da plötzlich trötet dir ein Saxofon ins Genick. Eins mit einer richtig intensiven Knoblauchfahne. Und dann noch eins und noch eins und noch eins. Das 29th Street Saxophone Quartet steht am Eingang, offenbar geschlossen aus dem selben Restaurant kommend und wohlgesättigt ihr Konzert im Neuburger „Birdland“-Jazzclub mitten auf der Kellertreppe beginnend.

Die vier unkonventionellen Gentlemen marschieren zwischen den verdutzten Gästen durch die Katakomben wie eine waschechte New Orleans-Kapelle, lassen ihre Hörner fröhlich honken und verbreiten einen ansteckend frischen Groove. Auf der Bühne angekommen, tänzeln und trippeln sie, laufen durch- und schleichen nebeneinander, röhren, schreien, weinen oder flüstern. Pulsierende, vibrierende Musik ganz ohne Rhythmusgruppe, im Kopf gezeugt, aus dem Bauch heraus geboren. Und als Odeur immer diese sagenhafte Fahne hinter dem dicken Ton.

Die Idee solcher Gebläse-Kollektive hat zwar nicht ganz so viele Jahre auf dem Buckel wie das Instrument selbst, infiziert aber gerade Saxofonisten in zunehmendem Maße. Allenfalls die Brücke zum Publikum vergessen die Protagonisten immer wieder, weil sie nur selten der Versuchung widerstehen können, die konzentrierte Kraft ihrer Hörner als akademische Plattform zu missbrauchen. Bei den vier Individualisten des 29th Street Saxophone Quartets ist das anders. Sie frönen dem „New York Thing“, wie es Bariton-Saxofonist Jim Hartog im „Birdland“ simpel, aber schlüssig auf den Punkt bringt. Will heißen: Sie verzichten auf Kilometer hohe Türme aus chromatischen Überwucherungen, stakkatierenden Linien und Atmungsnovitäten und kredenzen stattdessen eine dynamisch-swingende Mixtur aus Soul, Funk und Hardbop. Ihre Lesart der Musik aus der Stadt, die niemals schläft.

Ed Jackson (Alto) und Willie Williams (Tenor) gockeln und plustern sich von Angesicht zu Angesicht auf, rollen wild mit den Augen und hauen sich die Licks um die Ohren, dass es nur so zischt. Ein akustischer Hahnenkampf ohne Sieger. Zum Schreien komisch wirkt es auch, wenn Hartog und der grandiose Bobby Watson (Alto) die Tonleiter hinabrutschen und sich wie zwei keifende Ratschkattln mit gezielten Dissonanzen in den Vordergrund zu drängen versuchen. Alles fein inszeniert, eine angenehm dosierte, aber gerade deswegen perfekte Bühnenshow mit einem hohen Maß an Virtuosität.

Manchmal klingt die röhrende Quadriga wie der glatt polierte Bläsersatz der alten Salonorchester, manchmal wie eine Baustelle in der Bronx mitten in der Rush Hour und dann wieder, wenn sich Hartog, Jackson, Williams und Watson vor der Bühne aufgebaut haben und mit abgespreizten Fingern rappen, wie eine in die Jahre gekommene Boygroup. Sie spielen Standards oder Titel mit Namen wie „Get Nasty“, „The happy Song“ und „Claudia`s Car“ – verzahnt, verzinkt, verklebt, verwoben, unter der Oberfläche brodelnd, komplex, schillernd und manchmal gar genial.

Am Ende gibt`s noch eine  kollektive Tapdance-Einlage und als letzte Zugabe fast genau um Mitternacht zwölf geblasene Glockenschläge. Das war’s. Bezeichnender hätte eine der spannendsten und vielseitigsten Spielzeiten seit Bestehen des „Birdlands“ wohl kaum in die Sommerpause gehen können!