Ron Carter Quartet | 26.10.2002

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Wer je meinen möchte, es gebe keine Steigerung mehr, der darf sich im Birdland Jazzclub immer mal wieder eines Besseren belehren lassen. Jüngstes Beispiel: Ron Carters Gig im Hofapothekenkeller. Der Altmeister des Contrabasses stellte nur wenige Monate nach seinem Besuch mit Billy Cobham und Kenny Barron ein Quartett vor, das die reine Kunst des Jazz in atemberaubender Einheit verwirklichte.

Nach „The Art of Three“ im Februar war Ron Carter nun mit einem außergewöhnlich besetzten Quartett im Birdland zu erleben: Neben dem Leader am Bass präsentierten sich Stephen Scott am Piano, Payton Crossley am Schlagzeug und Steve Kroon an der Percussion. Was die vier bieten, ist näher am Modern Jazz Quartet als an Miles Davis zweitem Quintett, in dem Ron Carter ein wichtiges Kapitel der Jazzgeschichte mitgeschrieben hat. In gelassener Könnerschaft und soigniertem Understatement gibt sich Carter als weiser Gentleman, der Lebenserfahrung und makellose reife Kunstfertigkeit so selbstverständlich zur Verfügung hat, dass er sie nicht mehr demonstrieren muss, sondern einfach wirken lassen kann. Nicht das Was, das Wie ist entscheidend. Der Weg ist das Ziel in den großräumig angelegten mehr als halbstündigen Jazz-Suiten, in die wie von ungefähr die Standards des Great American Songbook hinein verwoben werden. Da schimmert so manche anmutig swingende Perle in glasklar sich verlierender Tiefe. Stille, Time und Warten Können, die Entdeckung der Langsamkeit und aus ihr geschöpfte Energie realisieren ein subtiles Fest fein ziselierter Rhythmen und phantasievoll mäandernder Melodiebögen. In kleinschrittiger Veränderung, zart ausgefeilter Verästelung, fast unmerklich angebahnten, jedoch um so wirkungsvolleren Tempowechseln wird die Gedankenführung vorangetrieben in einem faszinierend organischen Dialog aus Rhythmus, Melodie, Klangfarbe und harmonischer Finesse. Nichts Kalkuliertes oder Artifizielles wird da geboten, sondern die in sich ruhende Kunst eines Quartetts, das sich kristallisiert um das musikalische Genie eines der besten Jazzbassisten aller Zeiten. Die Vier spielen mit Themen und Traditionen, Ideen und Gedanken, bewegen sich wie auf einer Metaebene der ausgetretenen Pfade des Mainstream in einer entrückten Umlaufbahn und verzaubern den Augenblick zu einer Zeitinsel, in der Ruhe und Bewegung in Eins fallen.