Copland – Abercrombie – Wheeler | 27.10.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

„What`s new?” Der Titel, mit dem Marc Copland, John Abercrombie und Kenny Wheeler das Finale des kleinen, aber überaus gehaltvollen „Oktober-Specials“ im Neuburger „Birdland”-Jazzclubs eröffnen, ist fast schon Programm. Eine rhetorische, verschmitzte Frage, die sich der Pianist, der Gitarrist und der Trompeter selbst stellen und gleichzeitig mit „Vieles“ beantworten.

Durch die düsteren Soundwaben strahlt heute mehr Licht, der einstige Club der depressiven Männer hat sich in ein neugieriges Forscherteam verwandelt, das zwar immer wieder tief in den modalen Urwald vordringt, aber auch gerne und oft zum Basislager des vielstimmigen, verschobenen Swing zurückkehrt. Drei Ausnahmekönner haben sich nach vierjährigem Suchen endlich zu einer gemeinsamen Stimme verbunden. Was angesichts der kantigen Individuen wahrlich hart genug ist.

Copland, den die Fachwelt seit einiger Zeit endlich als einen der ganz Großen des Jazzpianos feiert, spielt das, was er ist: ein empfindsamer, lyrischer Mensch voller Träume und Phantasien. Wheeler, der oft unterschätzte englisch-kanadische Trompeter, spielt das, was er nicht ist: ein klagender, schmerzerfüllter, melancholischer Zeitgenosse. Und Abercrombie, die unerreichte Instanz an der elektrischen Jazzgitarre, spielt das, was er schon immer war: ein duales Wesen zwischen Stereoverstärkern, zwischen Hall und Swing, Schall und Free, Rauch und Rock.

„When we met“ lautet ein anderer Titel, der einiges über den mühevollen Verschmelzungsprozess verrät. Manchmal wirkt dessen Resultat wie ein Gedicht, das Goethe, Schiller und Heine gemeinsam verfasst haben; schwierig, doch allemal möglich und überaus lohnend. Kein ultimatives Meister-, aber ein erhabenes, außergewöhnliches Kunstwerk. Prosa als Puzzle, Musik als ein Setzkasten der Gefühle.

Die drei kommunizieren mit Blicken, Gesten – auch der oft als verschlossen geltende Wheeler – und Worten, als Copland nach einem entrückten Solo Abercrombies ein fast euphorisches „Yeah John!“ ausstößt. Sie malen keine opulenten Gemälde, sondern zeichnen bewusst unfertige Landschaftsskizzen mit einem staubigen Abendrot-Intro („That`s for sure“), während draußen der Sturm um die Häuser braust. Sie erzählen Geschichten aus der großen Stadt („Dark Territory“) mit spröde-kratzigen Blues-Metren des schlicht genialen Abercrombie, oder nehmen sich in „That`s for sure“ einfach selbst auf die Schippe.

Am Schluss kündigt Copland „our Rock`n`Roll-Tune“ an – was natürlich noch so ein hintersinniger, unerwarteter Witz ist angesichts von Nat Adderlys „Jive Samba“. Aber gerade beim Genuss von Wheelers herrlich grunzendem Flügelhorn, Abercrombies schrammelnd-schlurfender Gitarre und Copland, der über die Tasten hüpft, als seien sie auf 100 Grad erhitzt worden, wird überdeutlich, dass drei stille Superstars gemeinsam eine ganze Menge Getöse verursachen können. Im positiven, qualitativen Sinn versteht sich.