Romeo Franz Ensemble feat. Joe Bawelino | 24.03.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Der sogenannte Zigeunerjazz ist ein von Klischees nur so strotzendes Phänomen, meist von falschen. Wer sich einmal genauer bei Konzerten dieses Genres umschaut, wird feststellen, dass die Leute in zunehmendem Maße wegen der vermeintlich leicht konsumierbaren Tonkunst vorbeischauen. Ein entspannter, unbeschwerter Event, ein Gläschen Rotwein, und die Musik da vorne besitzt vor allem deshalb so angenehme Züge, weil sie nicht bei den angeregten Tischgesprächen stört.

Pardon, wir sind in einem Jazzclub! Und auch Künstler, wie der Roma-Geiger Romeo Franz und sein kongenialer Gitarrenpartner Joe Bawelino haben bei einem Gastspiel wie im Neuburger „Birdland“ ein Recht auf Aufmerksamkeit. Vertreten sie doch nach wie vor eine völlig eigenständige, aus Verfolgung, Leid, Melancholie, wilder Lebenslust, virtuosem Feuer, Swing und Improvisation gewachsene Kunstform. Doch das Publikum bleibt schweigsam bis reserviert, wenn ein Solo einmal zu sehr in pseudomodernen Schnickschnack ausartet, und seufzt im gleichen Maße erleichtert bei altbekannten Gassenhauern auf.

Franz und Bawelino kennen ihre Pappenheimer und wissen klug, pfiffig und charmant mit diesen besonderen Arbeitsbedingungen umzugehen. Sie geben dem Affen kräftig Zucker, stellen die populäre, bekömmliche Seite des Zigeunerswing unverkennbar in den Vordergrund. Aber gleichzeitig wandeln sie mit mindestens einem Bein auf den Spuren ihrer Vorfahren. All dies glaubhaft und leichtfüßig zu einem faszinierenden Konglomerat aus pumpenden Wechselbass-Rhythmen (Thomas Stützel), nachschlagenden Gitarrenakkorden (Unge Schmid) und schmerzvoll-ungestümen Geigenläufen (Romeo Franz) zu verknüpfen, stellt die eigentliche Besonderheit dieses vitalen Ensembles dar.

Franz singt traurige Liebeslieder in Romanes, der Sprache des fahrenden Volkes. Sein Strich klingt urwüchsig, kräftig und weniger sahnig, wie der eines Stéphane Grappelli. Am Piano liefert er die Harmoniestaffage für Bawelino, dieses muntere Energiebündel, das sich auf seiner Gibson unbeschwert als dominierender Melodieführer entfalten darf. „Big Papa Joe“ ist ein bärenstarker Akkordier, dessen swingende Doppelgriffe bruchlos in Bebop-Phrasierungen und bluesige Fingerpickings hineinfließen, ohne dabei ganz die Sinti-Wurzeln zu kappen. Wenn dieser chronisch gut gelaunte Gitarrenverrückte die Handbremse lockert, dann purzeln kaskadenhafte Arpeggios, blitzartige Akzentuierungen oder mächtige Oktaven nur so durcheinander. Mal schrabbt Bawelino wie ein Rockabilly-Klampfer über das Griffbrett, dann biegt er die Saiten im Stile eines Eric Clapton oder dreht mitten unterm Solo an den Wirbeln seines Gitarrenhalses.

Die Auffrischung ihrer Tradition steht eindeutig im Mittelpunkt. Etwa im Funk-Intro von „Sweet Georgia Brown“, das die alte Schindmähre wie ein frisch gestrigeltes Rennpferd galoppieren lässt. Oder beim bewusst in Schräglage versetzten „Puttin On The Riz“, von der Combo augenzwinkernd mit herrlichen klezmerähnlichen Synkopierungen garniert. Wer soviel Mut besitzt, eine verstärkt missverstandene Musik zu entstauben, ohne sie dabei ihrer künstlerischen und unterhaltenden Substanz zu berauben, der verdient es, leidenschaftlich gehört, und nicht bloß nebenbei konsumiert zu werden.