Am 29. September diesen Jahres feierte die Jazz-Ikone Rolf Kühn seinen 90. Geburtstag. Welch enormes Gewicht man ihm in der Geschichte des Jazz beimisst, mag man an drei Faktoren ablesen. Pünktlich zum Geburtstag wurde er von sämtlichen Jazz-Magazinen hierzulande mit umfangreichen Features gewürdigt, der TV-Sender 3sat strahlte eine große Dokumentation über ihn aus und das Plattenlabel MPS brachte ihm zu Ehren eine opulente Box mit neun LPs auf den Markt. Solches geschieht nur echten Stars. Rolf Kühn ist einer. Manche sagen ja, er sei der größte und wichtigste lebende Musiker des deutschen Jazz überhaupt.
Sobald Künstler etwas älter werden, neigen sie nicht selten dazu, sich auf die Wiedergabe ihrer „Greatest Hits“ zu beschränken. Genau das tut Rolf Kühn nicht. Der Mann ist nach wie vor hungrig, voller Abenteuerlust und ständig auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten, und zwar als Klarinettist, als Komponist und als Arrangeur. Mit sicht- und hörbarer Freude stellt er beim Konzert, das er anlässlich des 9. Birdland Radio Jazz Festivals in Neuburg gibt, die Stücke seiner aktuellen CD vor, die heißt wie seine Band, nämlich „Yellow + Blue“, Stücke wie „Train To Nowhere“ und „Impulse“, die vor Lebendigkeit nur so sprühen, die aber auch eine unglaubliche Coolness ausstrahlen. Prägnante Läufe, waghalsige Arrangements, lodernde Soli aber eben auch eine lässige Eleganz sind ihr Markenzeichen. Dazwischen schieben sich fragile Balladen wie „Angel Eyes“ und „Body And Soul“, manches wird suitenartig verknüpft, dann wieder dominieren Klangwolken die Szenerie. Was auch immer Kühn an diesem Abend vor ausverkauftem Haus tut, gelingt ihm perfekt. Nach jedem einzelnen Stück herrscht zuerst atemlose Stille im Auditorium, als müsse man erst einmal realisieren, dass man hier Zeuge eines wahrhaft denkwürdigen Augenblicks wird, dass hier gerade etwas höchst Außergewöhnliches passiert und man selber ist mitten drin. Dann erst bricht der Beifallssturm los.
Rolf Kühns Begleiter könnten seine Enkel und Urenkel sein. Frank Chastenier, der begnadete Pianist, der so lange musikalischer Leiter der WDR-Bigband war, der ungemein quirlig und optisch spektakulär zu Werke gehende Schlagzeuger und Perkussionist Tupac Mantilla, der aber doch gleichzeitig so herrlich feinfühlig spielt, um nur ja nicht allzu dominant zu wirken, und schließlich Lisa Wulff, die den Kontrabass klingen lässt, als wäre sie mit ihm auf Samtpfoten unterwegs. Auf diese drei kann Kühn sich blind verlassen kann. Sie folgen ihm treu und treiben ihn doch an, sie fordern ihn heraus und gehen doch mit ihm durch dick und dünn. Was für eine großartige Band, was für spannende, dynamische, mitreißende Musik von und mit einem Musiker, den man nur bewundern kann für diesen Abend. Es ist tstächlich vom ersten bis zum letzten Ton der pure Genuss. Rolf Kühn und seine Band sorgen für eine Sternstunde des Radio Jazz Festivals. Mehr noch: der gesamten Konzertsaison im Birdland.