Roditi – Ignatzek – Rassinfosse | 31.10.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Unverwüstliche Gaudiburschen vor dem Herrn waren Klaus Ignatzek, Claudio Roditi und Jean-Louis Rassinfosse eigentlich schon immer. Dass aber nun nach einer ziemlich langen Durststrecke endlich wieder die Zurschaustellung ihres opulenten musikalischen Potenzials in den Mittelpunkt rückt, war die mithin erfreulichste Erkenntnis des jüngsten Gastspiels der drei Freunde im Neuburger „Birdland“-Jazzclub.

Drei. Diese Zahl steht wohl am symbolträchtigsten für den Weg aus der Krise. Oder besser die Kombination 3-4-1 (lies: „Three for one“). Ein überfälliger Befreiungsschlag aus einer kreativen Sackgasse, in die sich das alte Ignatzek-Quintett nach jahrelangen Mördertouren manövriert hatte. Der umtriebige Oldenburger Pianist verzichtete einfach auf einen Schlagzeuger sowie den zweiten Trompeter und setzte dafür auf ein reduziertes, dosiertes, absolut gleichberechtigtes Trio, in dem jeder den anderen weiterdeuten, interpretieren, ergänzen oder auffangen muss. Da gibt es kein Verstecken hinter krachenden Bläsersätzen oder Wetteifern um das beste Solo mehr. Was zählt ist einzig die filigrane Nuance.

Ein lohnender Schritt zurück. Jetzt wirken die Themen, als würden sie nicht mehr zwanghaft vorgeführt, sondern sanft mit einem Federkiel in die Luft des Hofapothekenkellers geschrieben, wo sie sich schwebend ins Ohr des Zuhörers schleichen. „Springdale“ (Frühlingstal), die Komposition Ignatzeks, klingt eher wie ein wolkenverhangener Herbstberg, eingerahmt von schweren Basslinien, der hochvirtuosen Melancholie des Flügelhorns und spärlichen Elfenbeintupfern. Selbst in Up-Tempo-Nummern wie „Joy Spring“ oder dem Calypso „Avokado“ überwiegt die wiederentdeckte Lust auf das Offenlegen von Details. Selten zuvor nämlich gab es einen abwägenderen, bis auf wenige Ausnahmen stets auf den Gesamtklang achtenden Ignatzek, der ohne Eitelkeit den fulminanten Trompetenstrahl Roditis und den hinreißend präsenten Holzkorpus von Rassinfosse harmonisch einzubetten versteht.

Eigentlich fast schon wie eine Störung mutete da der spontane, aber scheinbar unvermeidliche Einstieg von Annette Neuffer an. Die Trompeterin/Vokalistin hätte dem Publikum, aber auch sich selbst einen großen Gefallen getan, wenn sie auf ihr völlig daneben geratenes „There will never be another you“ verzichtet hätte. Und dann wäre da noch der berüchtigte komödiantische Aspekt, der diesmal keineswegs deplaziert wie vor drei Jahren, sondern vielmehr höchst anregend wirkte. Weil er nicht mehr die Schwächen der Musik übertüncht, sondern ihre Vorzüge in ein stimmiges Ambiente einbettet.

Da beichtet der Brasilianer Roditi zum Beispiel radebrechend, dass er heute mit seinem ehernen Grundsatz, niemals Suflaki oder „Käsespätzele“ vor einem Konzert zu essen, gebrochen habe. Rassinfosse, der etatmäßige Schweiger, will das ihm einmal gereichte Mikrofon gar nicht mehr hergeben, philosophiert über seinen Zwillingsbruder Jim – und deutet dabei auf den Kontrabass. Der sei früher eine Violine gewesen, aber durch die stete Zufuhr von Wasser… Das wolle er jetzt noch eine gute Stunde so weitermachen, droht Rassinfosse. Die Türen seien geschlossen, das Publikum habe keine Chance zu fliehen. „Ihr seid jetzt alle Jazzgeiseln!“ Aber im Ernst: Wer wäre bei solch edler Unterhaltung wirklich freiwillig vor dem letzten Gang verschwunden?