Roberto Negro „Dadada“ / Papier Ciseau | 25.09.2021

Donaukurier | Karl Leitner
 

Bumm! Was für ein sensationelles Konzert! Welch überbordende Kreativität! Welch atemberaubende Klänge aus einem anderen Universum! Papier Ciseau mit Roberto Negro am Flügel, Emile Parisien am Sopransaxofon und Michaele Rabbia am Schlagzeug und an der Perkussion verwandeln das Birdland in einen Tempel der Avantgarde und lassen das Publikum am Ende vor Begeisterung tobend zurück.

Dabei spielen die drei, die längst zur europäischen Spitzenklasse des Modern und des experimentellen Jazz zählen, höchst abenteuerliche Musik. Die erste Hälfte des Konzerts trägt die Überschrift „DaDaDa“, die zweite „Papier Ciseau“. Das sagt schon einiges, aber längst nicht alles. Es geht um Dadaismus und Dekonstruktivismus, ja, aber eben auch um straffe Organisation und auskomponierte Passagen, es geht um Ligeti, Satie und Debussy, aber auch um geradezu kindlich verspielte Melodien, es geht um Klangfetzen wie aus dem Kurzwellenradio, Überreichweiten, Schmatzgeräusche und Echos aus dem Ultraschallgerät, aber auch um ganz herkömmliche Linien und Akkorde auf den weißen und schwarzen Tasten und um Saxofonsoli alter Schule.

Ganz wichtig ist die Elektronik, die von allen dreien nicht nur zur Erzeugung von Geräuschen eingesetzt wird, sondern auch gleich wieder zu deren Verfremdung, als Gestaltungselement für diese geradezu wahnwitzigen Kompositionen, die Namen tragen wie „Odile“, „Telex“, „Shampoo“ oder auch „Neunzehn“. Oft steht nur ein via Laptop abgerufenes zaghaftes Blubbern oder ein schüchternes Rauschen an deren Beginn, dann entwickelt sich daraus plötzlich eine nicht aufzuhaltende Eigendynamik, die Instrumente setzen ein, erzeugen eine fast bis zur Unerträglichkeit gesteigerte Spannung, die sich dann in einer Eruption, einem orgiastischen Ausbruch entlädt. Man sitzt als Zuhörer mittendrin und fragt sich ein ums andere Mal, was hier eigentlich abläuft. Hier sprüht eine Band geradezu vor Leidenschaft, birst schier vor Ideenreichtum, versprüht dabei auch noch Humor und Witz und klatscht sich nach vollbrachter Großtat ab, sichtlich selber glücklich über das Ergebnis ihres Tuns.

Man würde den Dreien an diesem Abend alles zutrauen. Wenn Parisien bei einem seiner entfesselten Soli das Publikum anstiert, mitunter dabei nur auf einem Bein stehend, dann ist er der Rattenfänger im positiven Sinne, der Hypnotiseur, dem man bedingungslos überall hin folgen würde, ohne das Ziel zu kennen. Der Rausch des Augenblicks ist einfach zu verführerisch. Und am Ende gibt es wohl keinen einzigen Gast im Birdland, der nicht begeistert wäre von diesem Trio, das ja beileibe keine einfach zu konsumierende Musik macht, sondern der Zuhörerschaft schon einiges abverlangt. Sogar die Zugabe fällt aus dem Rahmen. Die drei verteilen sich im Birdland-Gewölbe und nutzen die tolle Akustik des Raumes für einen dezenten aber deswegen nicht minder spektakulären Abgang.

Es wird Negro, Parisien und Rabbia derzeit ja nachgesagt, sie seien auf dem besten Weg, sich in den europäischen Jazz-Olymp zu spielen. Nach diesem Konzert zu urteilen, sind sie dort längst angekommen, und zwar ganz oben.