Die Vielzahl an Lorbeeren, mit der sie in weltweit überschüttet wurde, ebnen ihr inzwischen alle Wege. Und sorgen letztendlich auch dafür, dass der Birdland-Jazzclub an einem eher publikumsunfreundlichen Sonntagabend bis auf den letzten Platz gefüllt ist. Jeder, der Roberta Gambarini schon einmal live erlebt hat – und dafür gab es im Hofapothekenkeller schon hinlänglich Gelegenheiten –, kommt gerne wieder. Denn sie wollen unbedingt noch einmal diese Sängerin erleben, die einfach alles hat, was die Besten des Genres auszeichnet: Charisma, Charme, dezente, unaufdringliche Weiblichkeit, die Gabe, jedes Publikum in Windeseile zu verzaubern und eine Stimme, die locker drei Oktaven durchmessen kann. Dass die in Turin geborene Italienerin stets auch erlesene Begleiter an ihrer Seite weiß, scheint dabei längst selbstverständlich. In Neuburg sind es der exzellent monkisch swingende Pianist Kirk Lightsey, immerhin schon 85 Jahre jung, Daryll Hall am Kontrabass, eine der begehrtesten Adressen der aktuellen Szene, sowie der Wiener Schlagzeuger Mario Gonzi.
Ihre eigenen 49 Jahre merkt man Robert Gambarini eigentlich kaum an. Wie sie ihre über zweistündige Show absolviert, gerne Zugaben gibt, Autogramme schreibt und für jedes Selfie zur Verfügung steht, dahinter stecken sowohl die Lust, mit den Menschen zu kommunizieren, wie auch die Erfahrung aus mittlerweile zwei Jahrzehnten Showbiz. Sie punktet als routiniertes Energiebündel, das gerne Geschichten erzählt, mit der Variabilität einer Stimme, die fließend zwischen Scat und samtenen Lyrics hin und her tanzt, bombensicher jeden Ton trifft und deren Range nach wie vor nahezu konkurrenzlos erscheint.
Dennoch muss sich die smarte Südeuropäerin mit Wohnsitz in New York, die in ihrer Karriere zwei Mal für den Grammy nominiert wurde, gerade jetzt zwangsläufig Vergleichen stellen – mit den vielen unglaublich guten Jazzvokalistinnen jüngerer Generation wie Cécile McLorin Salvant, Cyrille Aimée, Veronica Swift oder der erst zwei Wochen zuvor im Hofapothekenkeller gastierenden, grandiosen Samara Joy. Gerade Letztere setzte Ende April wegen ihrer unbefangenen Natürlichkeit einen Maßstab in Sachen Jazzgesang, der im Birdland vermutlich noch lange Bestand haben wird. Vor allem im ersten Set wirkt Gambarini diesmal häufig zu laut, zu hart, zu übersteuert, ebenso wie ihre Begleitband, ihre Darbietungen setzen nicht einfach nur auf die Magie des jeweiligen Songs, sondern rücken die Wirkkraft der Stimme in den Vordergrund. Auch das Programm ist gelinde gesagt professionell zusammengebaut; eine bewährte Rezeptur aus bekannten Standards des Great American Songbooks wie „On The Sunny Side Of The Street“ oder „Take The A-Train“.
Zum Glück ändert sich das nach der Pause. Der Phonpegel scheint von da an dosierter, die Stücke passen sich der jeweiligen Stimmung an. Aus Joni Mitchells „Sometimes Iʼm Happy“ formt Roberta Gambarini ein sinnliches Klangerlebnis, „Blame It On My Youth“, das sie mit einem unbegleiteten Intro, auf einem Barhocker sitzend, eröffnet, lässt sich die Sängerin von ihrer langjährigen Begleiter Kirk Lightsey auf atemberaubende Weise am Flügel veredeln. Bei ihrem „favorite song ever“, der Ballade „Lush Life“ von Billy Strayhorn, wagt dann niemand mehr im Keller zu atmen. Und da ist er plötzlich wieder, der alte Gambarini-Zauber; spät, aber nicht zu spät, um den zahlreichen Fans aus Nah und Fern ein Lächeln für den Heimweg mit auf den Weg zu geben. In diesem Moment wirken auch ihrer Scat-Einsätze nicht mehr wie ein Mittel zum Zweck, sondern endlich wieder wie ein launiger Impuls, der sich einfach so aus der puren Lust am Augenblick heraus ergibt. Ein eventueller dritter Set wäre bestimmt noch einen Tick intensiver, noch packender ausgefallen – wenn da nicht morgens um fünf Uhr das Auto Richtung München losgefahren wäre.