Joe Haider Sextett | 14.05.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Der wievielte Auftritt ist es eigentlich? Er war schon mit Orchestern da, die von ihrer Opulenz her eigentlich gar nicht in den Hofapothekenkeller passten, mit intimen Pianotrios, in Quartetten oder Quintetten, als Sideman oder als Bandleader. Für einen wie Joe Haider hätte der abgedroschene Terminus vom „lebenden Inventar“ im Neuburger Birdland eigentlich erst erfunden werden müssen. Jetzt kreuzt der kauzige Schwabe am Klavier wieder auf, mit fünf Fahrensmännern zur Seite, allesamt gestandene Jazzmusiker aus der Szene seiner Schweizer Wahlheimat und Österreichs. Aber irgendetwas ist anders. Die Musik vielleicht? Von der Qualität her hebt sie sich abermals weit ab von anderen Mainstream-Darbietungen – wie häufig in der Vergangenheit. Also nichts Neues?

Halt! Was auffällt, ist die Stimmung, diese ansteckende Spielfreude, dieses lustvolle Zelebrieren selbst schwierigster Arrangements, die Haider und seine Freunde aus mehreren Generationen über zwei Stunden lang vermitteln. Dabei ist der Chef des Ensembles immerhin schon stramme 86. Ein leibhaftiger Dinosaurier des deutschen Jazz, ein Stehaufmännchen mit Nehmerqualitäten, ein hoffnungslos der Musik verfallener Triebtäter mit Ecken, Macken und Kanten. Aber so jung, so frisch, so fit, so hungrig nach diesem besonderen Liveerlebnis war Joe Haider nicht einmal vor zehn oder 20 Jahren. Man muss ihn einfach mögen, wie er da auf der Bühne steht und mit seinem trockenen Haider-Humor die Kalauer zwischen den Stücken raushaut. „Geschtern beim Konzert hatten mir ein Schwimmfest. Heute ist der Sound perfekt. Jeder hört jeden. Danke Birdland, danke Robby (Komarek, das „Mädchen für alles“ im Birdland)“. Oder nach einem fulminanten Basssolo: „Ich sag nur ein Wort: Raffaele Bossard!“. Das übliche Procedere mit der Zugabe schenkt er sich gleich: „Normalerweise gehen mir jetzt da runter, Sie klatschen wie verrückt, und dann kommen mir wieder rauf. Da bleiben wir doch lieber gleich oben und spielen einfach weiter.“

In der Tat können die Gäste kaum genug von „Joe Haider 2022“ bekommen. Die Darbietungen des alten Brummbären besitzen die Qualität einer Standortbestimmung auf der Zielgerade seines Lebens und reichen vom launigen Jazzwalzer über virile Hardbop-Wühler bis hin zu feinen Balladen. Druckvolle, satte Bläsersätze mit dem Posaunisten Johannes Herrlich und dem Trompeter Daniel Noesig dominieren „Neptunus“, die Komposition seines ehemaligen Partners Benny Bailey, während die Samba „Little Peace“ aus der Feder des „alten Freundes und Kupferstechers“ sowie aktuellen Birdland-Partners Heinz von Herrmann (ebenfalls 86) trotz ihrer ständigen Rhythmuswechsel fluffig und leicht rüberkommt. „Benoit“ ist ein „Hüpfstück“ (O-Ton Haider) mit unverschämtem Groove, für den vor allem Schlagzeuger Claudio Strüby sorgt, während die leise, langsame Haider-Eigenkomposition „I Remember Duke“ wehmütige Erinnerungen an die „guten, alten Zeiten“ weckt, als Musik noch einen gänzlich anderen Stellenwert besaß.

Dass die Darbietung dennoch nicht in einem Sumpf aus rührseliger Nostalgie versinkt, ist das eigentliche Verdienst dieses Sextetts. Denn nichts wäre schlimmer für den Pianisten, der an sich selbst stets die allerhöchsten Ansprüche stellt, als in der Ecke der ewig Gestrigen abgestellt zu werden. So bleibt die Combo zeitlos tagesaktuell und versetzt bei der unorthodoxen Zugabe die quirlige Herrlich-Nummer „Hot Summer In …“ kurzerhand von Wien nach Neuburg. Ganz zum Schluss verlässt die Band die Bühne, der Boss bleibt einfach am Flügel sitzen und spielt alleine eines der schönsten Schlaflieder, die jemals im Birdland erklangen. „Guten Abend, gutʼ Nacht“ von Johannes Brahms erblüht unter den flinken, nach wie vor wie geschmiert auf der Klaviatur laufenden Fingern von Joe Haider wie eine dunkle, geheimnisvolle Rose. Ein perfekter Rausschmeißer, ein emotionaler Abschied. Bis zum nächsten Mal!