Rita Marcotulli Trio | 03.03.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Es klingt so selbstverständlich: Das Rita Marcotulli-Trio gastiert im Neuburger Birdland. Dabei galt eine Frau am Piano lange Zeit als exotische Randerscheinung, als eine Art Feigenblatt im männerdominierten Jazz, einem streng patriarchisch geordneten Areal, in dem das weibliche Geschlecht bis auf ganz wenige Ausnahme allenfalls als hübsches, singendes Accessoire vorkommen durfte; toleriert, jedoch nicht wirklich ernstgenommen.

In der Geschichte des Jazz gab es bis vor gut einem Vierteljahrhundert noch höchstens zwei Handvoll Frauen, die sich ins testosteronverseuchte Haifischbecken wagten, viele warfen entmutigt wieder das Handtuch. Marcotulli indes, eine harte Arbeiterin, mit der wichtigen Tugend der Starrköpfigkeit gesegnet, machte weiter, trotzte den Geschlechtervorbehalten, sorgte in Neuburg schon Mitte der 1990er Jahre als Sidewoman des großen Tenorsaxofonisten Dewey Redman für Aufsehen und erwarb sich wegen ihrer Beharrlichkeit ganz allmählich in Europa einen klingenden Namen als musikalische Begleiterin von Chet Baker, Joe Lovano, Billy Cobham, Enrico Rava, Pat Metheny oder den Liedermachern Pino Daniele und Gianmaria Testa. Bis sie allerdings mit ihrem eigenen Trio in den Hofapothekenkeller zurückkehren würde, sollte noch einige Zeit vergehen. Jetzt, im März 2023, zelebriert die 63-jährige Italienerin ein famoses Triokonzert und hinterlässt nach gut zwei Stunden ein restlos begeistertes Publikum. Sie applaudieren nicht etwa deshalb so frenetisch, weil dort oben eine Frau sitzt, sondern, eine richtig gute, eine außergewöhnliche Pianistin.

Dabei muss Rita Marcotullis Spiel nicht zwangsläufig „weiblich“ klingen – was immer das auch sein mag – oder womöglich gar „männlich“, gleichzusetzen mit aggressiv oder rüde, um aufzufallen. Ihre Handschrift ist bunt, leidenschaftlich, lebensbejahend, neugierig, voller Schlingen und harmonischer Finessen, mitunter rasend schnell. Vor allem verringert die Tastenvirtuosin die Distanz zwischen italienischen Canzoni und amerikanischen Gospels, zwischen den Mooren des Flusses Po und den Sümpfen des Mississippi auf eine absolut überschaubare Distanz. Dazu verwendet sie in ihren behänden Akkordsprüngen volksmusikalische Zitate und Bluesfiguren absolut gleichberechtigt und findet immer wieder neue, überraschende Wege. Mitunter erinnert Marcotullis ostinater Stil in pulsierenden Kompositionen wie „Scape“ an große Elfenbein-Virtuosen wie Randy Weston, Mal Waldron oder Abdullah Ibrahim – ein Vergleich, der freilich nur mit einem Rhythmustandem funktioniert, wie es rhythmischer kaum sein könnte. Denn Michel Benita, die französische Bass-Instanz, und der quecksilbrige mexikanische Perkussionist Israel Varela grooven vermutlich sogar noch im Schlaf weiter.

Eine Traumbesetzung also für eine Pianistin, die ihr Instrument deshalb beinahe selbstverständlich ebenfalls wie ein Schlagzeug mit 88 Trommeln und Becken benutzt. Aber Marcotulli kann auch Balladen voller dunkelblauer Schwermut, sie erzählt darin Geschichten aus vergangenen Tagen, öffnet Blickwinkel in eine andere Welt und zeigt auf, dass ein Pianotrio durchaus auch ohne echtes Drumset funktionieren kann. Denn Israel Varela – dies wurde vor allem im energiegeladenen ersten Set überdeutlich – liebt es, mit seinen Händen zu klatschen, auf den Fellen zu rascheln oder zu singen, während er mit den „klassischen“ Jazzeinsätzen, die über Sticks und Becken laufen, eher ein bisschen fremdelt. Macht nix! Schließlich fungiert Michel Benita mit seinem eindringlich federnden Basssound ja als perfektes Bindeglied zwischen Piano und dem unaufhörlich treibenden Puls Varelas.

So kann sich auf leichte, verspielte Weise eine Kraft entwickeln, die sich aus der Melodie und der puren Lust am Augenblick heraus entwickelt und von jedem im Kellergewölbe Besitz ergreift. Das Verdienst einer eindrucksvollen Pianistin. Einer starken Frau.