Rita Marcotulli & Luciano Biondini | 24.10.2020

Donaukurier | Karl Leitner
 

Ein virtuos in Szene gesetztes Feuerwerk der Ideen und Emotionen endet in einem Finale Furioso. Anlässlich des 10. Birdland Radio Jazz Festivals zeigen mit einer an Dramatik und Leidenschaft kaum zu toppenden zweiten Zugabe die Pianistin Rita Marcotulli und der Akkordeonist Luciano Biondini, wie Jazz in höchster Vollendung funktionieren kann.

Man werfe eine kleine Melodie in den Raum, benutze sie für waghalsige Experimente, bearbeite sie je nach Gusto einfühlsam oder mit ungestümer Leidenschaft, spiele mit ihr, nehme sie als Sprungbrett in ungeahnte Sphären der Kreativität, ohne ihr freilich jemals Leid zuzufügen, sie zu vergewaltigen oder gar zu zerstören.

Als der orgiastische Trip zu Ende ist, herrscht erst einmal atemlose Stille, dann erst bricht der Beifallssturm los. Was man hier und eben gehört hat, ist fast schon sensationell, das weiß jeder im Birdland, und auch den beiden Meistern an den Tasten und Knöpfen scheint, als sie sich mit breitem Grinsen endgültig in die Garderobe verabschieden, durchaus bewusst, dass ihnen an diesem Abend etwas ganz Besonderes gelungen ist. Harold Arlens „Somewhere Over The Rainbow“ und Louis Armstrongs „What A Wonderful World“ als Ausgangspunkte für eine gemeinsame Improvisation, wie man sie selbst an einem für solcherlei denkwürdige Momente geradezu prädestinierten Ort wie dem Birdland nur ganz, ganz selten hört.

Es hatte sich bereits mit der ersten Nummer angedeutet, dem fulminanten Eröffnungsstück des Albums „La Strada Invisibile“ namens „Aritmia“. Dann folgt Schlag auf Schlag. Eine Hommage an den großen Bassisten Charlie Haden, eine an den Schlagzeuger Peter Erskine, die eigentlich „For Jupiter“ heißt, aus gegebenem Anlass aber dann doch „For You, Peter!“. Es folgen halsbrecherische Unisono-Sequenzen, in ihre Einzelteile zerlegte musikalische Themen, parallel angelegte melodische Spuren, die sich plötzlich trennen, zeitversetzt verlaufen, sich überholen und überschneiden, aber immer so, dass nie der rhythmische Fluss verloren geht. In der für diese Art teils vorher festgelegter, teils aus dem Augenblick heraus entstehender Musik geradezu idealen Form des Duos fühlen sich die beiden Protagonisten pudelwohl, umkreisen und belauern sich, gehen gemeinsam ein Stück des Weges oder auch mit fliegenden Fahnen aufeinander los. Einer kommentiert das Tun des anderen, baut an dessen flüchtig skizziertem Gebäude aus Tönen weiter oder wischt den Entwurf mal eben vom Tisch, um stattdessen einen eigenen zur Diskussion zu stellen.

Und man sitzt mit offenem Mund da, hört und sieht diesem Treiben zu und ist fasziniert. Dieses Duo, das auf so unnachahmliche Weise mit Lust und Witz in einem fort Elemente der mediterranen Musik, der Klassik und des Jazz einander näher bringt und verbindet, gibt an diesem Abend nicht nur ein Konzert zur Erbauung des Publikums, nein, es bricht geradezu über das Auditorium herein. Es gibt Abende, die sind so spektakulär, dass sie nachher in die Annalen eingehen. Dieser war so einer.