Maik Krahl Quartet | 23.10.2020

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Maik mit „ai“. Kein Amerikanismus. Eher eine spezielle Lesart von Neue-Bundesländerismus. Denn auch wenn Maik Krahl spielt, als hätte seine Wiege mitten in Brooklyn gestanden, so ist der Trompeter doch im sächsischen Bautzen geboren. Für den 29-Jährigen, der mit seiner Freundescrew das zweite Konzert des 10. Birdland Radio Festival im Neuburger Hofapothekenkeller bestritt, sind derartige Herkunftsdiskussionen jedoch völlig ohne Belang. Selten nämlich klang in den vergangenen Jahren ein deutschen Nachwuchs-Jazzer origineller, ausgebuffter und facettenreicher, kaum ein Newcomer schaffte es nach dem Corona bedingten Neustart im Birdland, das dezimierte Publikum derart aus der Reserve zu locken, wobei dies Krahl und Co. erstaunlicherweise nicht mit populären Showeffekten, sondern einzig und allein mit ihrer instrumentalen Virtuosität und ihren bunt schillernden Eigenkompositionen gelang.

Was Wunder, wenn einer während seines Studiums in Dresden und Essen von solch hochkarätigen Lehrern wie Till Brönner und Ryan Carniaux unterrichtet wurde. Dennoch kopiert Krahl keines seiner Vorbilder, sondern befindet sich erstaunlicherweise bereits auf dem Weg zu einem eigenen, unverkennbaren Ton. Der keineswegs immer nur Volldampf-Uptempo-Nummern braucht, um seine Wirkung zu entfalten. Der sächsische Trompeter liebt das Balladenspiel, verpackt im segelnden „June 18 or The Dream to Fly“ viele unerfüllte Wünsche; von einem sorgenfreien Sommer, von ungeahnten Fortbewegungsmöglichkeiten und von grenzenloser Musik. Wie in „Decidophobia“, einem herrlich introspektiven Stück über die Angst vor Entscheidungen. Wenn Maik Krahl fein geknüpfte, gehauchte, fast singende Gefühls-Achterbahnfahrten modelliert und diese mit dem taumelnden Kontrabass von Oliver Lutz verzahnt, dann fliegen zahlreiche Fragezeichen durch den Hofapothekenkeller. Ein Stück über Einsamkeit, Zaudern, Zweifeln, Warten. Besser kann man diese ganz spezielle Phobie nicht in Noten transformieren. Der beste Moment des Abends, den das Auditorium mit frenetischen Bravo-Rufen quittiert.

In „Demian“ – benannt nach der gleichnamigen Erzählung von Hermann Hesse – setzt der Bandleader einen elektrischen Trompeten-Phaser ein, ohne dieses Stilmittel freilich zu überreizen. Wieder so ein feiner, emphatischer und schlauer Schachzug, der dem jungen Quartett viele Pluspunkte einbringt. Drummer Leif Berger schichtet effektiv seine Rhythmusberge übereinander, während man Konstantin Krahmer, den Pianisten, der perfekt die facettenreichen Arrangements grundiert, gerne ein bisschen häufiger auf Solopfaden gehört hätte.

An diesem Abend gibt es erfreulicherweise kein einziges langweiliges Stück. „At First Sight“ oder „Long Time Beauty“ mögen zwar knifflig strukturiert sein; durch die geschickte Vermengung von Shuffle- und Tangoelementen gehen sie jedoch sofort ins Ohr und manchmal auch ins Herz. Maik Krahl, ein durchaus freundlicher Zeitgenosse, mag viel über falsch oder richtig, Sinn oder Unsinn grübeln. Gerade weil er aber nichts dem Zufall überlässt und einen völlig abseitigen Weg geht, ist seine Performance vor allem eines: mutig. So, als würde hier einer kopfüber von der Klippe springen, nicht wissend, ob er unten ins Wasser eintaucht. Ein Risiko, das die Birdland-Gäste honorieren. Keiner hat die Entscheidung, in den Keller zu gehen, bereut.