Rick Margitza – Jim Rotondi Quintet | 06.05.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Wer einmal den „echten“ Jazz amerikanischer Prägung mit all seinem schillernden Facettenreichtum auf absolutem Weltklasseniveau erleben und genießen will, für den wäre der Samstagabend im Neuburger Birdland wahrlich der perfekte Termin gewesen. Aber es bleibt beim Konjunktiv: wäre. Denn das, was sich da im Hofapothekenkeller für das exzellente Quintett des Trompeter Jim Rotondi und des Tenorsaxofonisten Rick Margitza bei einem Blick in den Zuschauerraum offenbarte, glich eher einem Trauerspiel. Nur wenige Interessierte hatten den Weg ins Gewölbe auf sich genommen, um sich in extrem kurzweiligen zwei Stunden einen Hauch der legendären New Yorker Jazz-Luft um die Nase wehen zu lassen. Derartiges passt irgendwie nicht so recht zum erfolgreichen Birdland-Trend nach der Corona-Pause, in dem der Club bis dato nahezu an jedem Wochenende bestens ausgelastet war.

Dass die anwesenden Zuschauerinnen und Zuschauer dennoch voll auf ihre Kosten kommen, liegt vor allem an den fünf Musikern, die extrem professionell ein Feuerwerk an Virtuosität, beseelter Soli und perfekter Satzarbeit abbrennen, so als würden sie vor einer vollbesetzten Halle agieren. Und auch das Publikum gibt zurück, was es von oben bekommt, versucht, die sichtbaren Lücken mit entsprechend frenetischen und lautstarken Reaktionen zu füllen; ein fruchtbares Wechselspiel, bei dem aus einer misslichen Situation schlussendlich ein versöhnlicher, schöner Abschluss wird. Etwas anderes wäre auch dem Ruf des Birdlands und der Leistung der fünf kaum gerecht geworden.

Rick Margitza beispielsweise, einst Sideman des großen Miles Davis, gehört seit Jahrzehnten zu den wichtigsten Tenorsaxofonisten des Jazz und lockte bereits in den 1990er Jahren die Menschen zuhauf in den Birdland-Keller. Auch mit 61 ist er nach wie vor ein Melodienerfinder par excellence, bei dem jede Phrase einem Unikat gleichkommt und der eine ganze Reihe fesselnder Stücke für das Quintett geschrieben hat. Im Gedächtnis bleibt vor allem „Father John“, bei dem jeder weiß, wem damit gehuldigt werden soll: John Coltrane, dem großen „Godfather“ des Tenorsaxofons. Die Nummer klingt wie eine brodelnde Melange aus modalen Sequenzen, ähnlich dem legendären Coltrane-Quartett, ein Sammelsurium an individueller Musikalität, bei dem jeder seine Klasse ausbreiten darf. Margitza selbst besticht bei der Ballade „Cry Me A River“ durch frappierende Überblastechniken und Doppeltöne, so genannte Multiphonics. Jim Rotondi steht ihm mit seinem offenen, komplementären, in alle ästhetischen Richtungen ausstrahlenden Trompetenton kaum nach. Immer wieder ein Genuss ist der wunderbare Danny Grissett, der sich zum wiederholten Mal im Birdland den Ruf verdient, der mithin beste unbekannte Pianist des aktuellen Jazz weltweit zu sein. Ein erstklassiges Rhythmusduo präsentiert sich zudem mit dem jeder groovenden Herausforderung gewachsenen Bassisten Josh Ginsburg und dem abermals erstaunlich variantenreichen Drummer Vladimir Kostadinovic.

Da oben steht in der Tat eine der besten Bands des zeitgenössischen Neobop, ein konzertantes Naturereignis, das seine treuen Fans mit dem fulminant beseelten Finale „Next Time“ in höhere Sphären katapultiert. Als Zugabe, so als wollte die Combo den wenigen, aber völlig aus dem Häuschen geratenen Gästen ein schmackhaftes Betthupferl mit auf den Nachhauseweg geben, das sowohl süß wie auch prickelnd scharf sein darf, gibt es „Iʼll Be Seeing You“ in einem völlig neuen, gepfefferten Arrangement. Wir sehen uns wieder – garantiert! Unter hoffentlich anderen Umständen dann.