Rick Hollander Quartet | 23.05.1997

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wo immer Künstler ihr Handwerk verrichten, bahnt sich die Kreativität unweigerlich ihren Weg ins Freie. Was muß, das muß, vor allem, wenn es seit geraumer Zeit wie Feuer auf der Seele brennt. Etwa der allseits bekannte Wunsch, einmal aus voller Kehle seine persönlichen Leib- und Magenlieder zu schmettern. Die einen tun dies privat in der häuslichen Badewanne, die anderen öffentlich in einem Jazzclub, obwohl sie normalerweise kaum an solch exponierter Stelle zu vermuten wären.

So mag die Überraschung über die ungewohnte Arbeitshaltung beträchtlich gewesen sein, die der amerikanische Drummer Rick Hollander zu Beginn des mit Spannung erwarteten Gastspiels seines umformierten Quartetts im Neuburger „Birdland“-Keller an den Tag legte. Mit beiden Händen ein Ständermikrophon umklammernd, gönnte sich der aus Detroit stammende Wahlmünchner tatsächlich seinen langersehnten Ausflug in die wunderbare Welt des Gesangs. Hollanders große Liebe zur Vocalese war den meisten bereits von gelegentlichen Intermezzi in Christian Willisohns Bluesband her bekannt, wobei seine Stimme ihm bereits dort regelmäßig seine Grenzen aufzeigte.

Trotzdem gab der hagere Schlagwerker in Neuburg dem starken inneren Drang nach und eröffnete jedes seiner Tunes mit einem intimen Gesangspart: „Indian Summer“, „Autumn in New York“ oder „The Nearness Of You“, ausschließlich begleitet von dezenten Tupfern des Pianisten Walter Lang oder leisen Linien des Bassisten Will Woodard. Ein Experiment, das bei aller Begeisterung einfach scheitern mußte. Gerade die enorme Zerbechlichkeit dieser Klassiker des „Real Books“ erfordert nämlich ein hohes Maß an Phrasierungsgeschick, Ausdruck, Intonation und Atemkontrolle – samt und sonders Fähigkeiten, über die ein ungeschulter Sänger kaum verfügt.

Richtig Spannung kam im „Birdland“ erst auf, als sich der sichtlich nervöse Leader nach quälend langen Intros wieder seiner Qualitäten als komplexer (wenn auch manchmal zu wenig dosierender) Rhythmiker besann und die von ihm zu „Suiten“ ausgewalzten Themen ins Up-Tempo hochboppte. Im Prinzip sowieso die eigentliche Stärke dieser seit 1988 existierenden Band, die sich mit frisch swingendem Non-Konformismus bereits einen glänzenden Namen in den USA und Japan erspielte. Dies liegt zum einen am soulig-dezenten, im bayerischen Petershausen ansässigen Tastenzauberer Lang, zum anderen am feinnervigen, aber diesmal leider mit erheblichen Soundproblemen kämpfenden Großtöner Woodard.

Mit sämtlichen Unbillen des Abends versöhnte freilich Walt Weiskopf, der „Neue“ im Quartett. Schon nach wenigen Noten wußte jeder, warum Szenenkenner den New Yorker Saxophonisten derzeit als eine der aufregendsten Tenorstimmen handeln. Mit einer atemberaubenden Mischung aus ungezügelter Expressivität und kluger Reduktion weist der brillante Soundjongleur allen euphorischen Nachahmern endlich einen gangbaren Weg, wie John Coltranes Erbe ohne blinde Kopierversuche schlüssig weiterentwickelt werden könnte.