Richie Beirach Quartet | 20.05.2022

Donaukurier | Karl Leitner
 

Diese Band hat wahrhaft gehörig Dampf im Kessel. Das ist der Eindruck, der sich einem sofort aufdrängt an diesem Abend im Neuburger Birdland Jazzclub. Drängend, kraftvoll und offensiv präsentieren sich der aus Brooklyn stammende Pianist Richie Beirach und seine European Band, bestehend aus Gregor Hübner (Violine), Veit Hübner (Kontrabass) und Michael Kersting (Schlagzeug).

Der aufregende Spuk beginnt mit John Coltrane’s „Transition“ und endet mit Wayne Shorter’s „Footprints“, in den Saal gewuchtet in dichtem aber glasklaren Sound, in dem keine auch noch so winzige Einzelheit verloren geht. Das heiße Gebräu enthält durchaus Elemente des Rock, mit dessen elektrifizierter, jazznaher Form sich Beirach ja im Laufe seiner Karriere immer wieder beschäftigt hat, und lebt von seinen exzellenten, donnernden Akkorden am Flügel als unumstößlicher Basis und den druckvollen, extrovertierten Soli von ihm selbst und von dem angriffslustigen Veit Hübner, dem Teufelsgeiger, der Größen wie etwa Jean Luc-Ponty in nichts nachsteht.

Es schlagen jedoch zwei Seelen in Beirach’s Brust. Er schenkt seinem Publikum nicht nur kräftig ein, teilt zusammen mit der Band akustisch aus, fegt quasi durchs Birdland-Gewölbe, sondern steht auch für akribisch vorgetragenen, fast kammermusikalischen Jazz in Verbindung mit klassischen Kompositionen. Vor allem im ersten Teil des Abends hört man einen Richie Beirach, der sich zurückhält, sich auf seine ganz eigene Art vor dem Werks Ludwig van Beethovens, Bela Bartoks und Johann Sebastian Bachs verneigt. Wähnt man sich zu Beginn etwa der E-Dur Sonate Beethovens noch fast in einem Klassikkonzert, findet man sich plötzlich und unversehens in einer Jazznummer wieder, in der die Ausgangsmelodie, das Thema und dessen Variationen auf eine neue rhythmische Basis gestellt und mit den Harmonien des Jazz unterfüttert werden, ehe das somit völlig neu interpretierte Werk wiederum mit einer typischen klassischen Schlussfigur endet. Was immer Beirach mit all seiner Umtriebigkeit an diesem Abend auch anpackt, es wird zum großen Moment. Das gilt auch für die Standards, zum Beispiel „Softly As In A Morning Sunrise“ und „You Don’t Know What Love Is“, die man oft, aber selten in so eigenständigen Bearbeitungen hört.

Als Zugabe gibt’s schließlich Gregor Hübner’s Bearbeitung eines alten ukrainischen Schlaflieds, das George Gershwin zu dem brühmten „Summertime“ inspirierte. Bei Hübner heißt das Stück, eine wunderschöne und angesichts der politischen Umstände absolut angebrachte Solidaritätsbezeugung, „The Dream Passes By The Window“. – Und dann, kurz bevor nach diesem denkwürdigen Konzert alle die Bühne verlassen, sorgt Hübner sogar noch für eine kleine Fußnote. Am 22. Mai, also heute, feiern er selber und Beirach gleichzeitig Geburtstag, Hübner wird 55., Beirach 75. Vielleicht ist den beiden und ihrer Band der Auftritt im Birdland zwei Tage vorher auch deshalb auf so überaus beeindruckende Weise gelungen. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag und zu diesem herausragenden Konzert.