Riccardo del Fra Quintet & Kurt Rosenwinkel | 01.02.2019

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Irgendwann ganz zum Schluss, als die Leute gerade heftig um eine Zugabe klatschen, da fällt es einem wie Schuppen von den Ohren: Wo war eigentlich das Bass-Solo? Jeder der sechs Musiker durfte sich an diesem Abend weidlich präsentieren, konnte zeigen, was in ihm steckt. Nur der Chef persönlich hielt sich bis dato eher bescheiden zurück, wie ein Regisseur, der aus dem Hintergrund das Geschehen steuert. Ein Bassist eben.

Es sei ihm unangenehm, weil er seinen jungen Kollegen gerne allen nötigen Raum gewähre, entschuldigt sich Riccardo Del Fra, als der Applaus verklungen ist. Aber nun gebe es eben ein längeres Bass-Intro: „Iʼm sorry!“ Was folgt, sorgt im Nu für Stecknadelstille im einmal mehr voll besetzten Neuburger Hofapothekenkeller. Der 62-jährige Italiener, der in seiner Wahlheimat Frankreich längst als Legende gilt, weil er auf ein langes und bewegtes Jazzerleben an der Seite von Säulenheiligen wie Dizzy Gillespie, Toots Thielemans, Art Blakey, Sonny Stitt, James Moody, Clifford Jordan oder Paul Motian zurückblickt, zeigt, worauf es bei diesem Instrument ankommt: gleißend warme, fließende Linien voller poetischer Melancholie und uneitler Virtuosität. Schlichtweg große Kunst.

Die beiden Stunden zuvor hatte der Bassist charmant zwischen den Stücken geplaudert, auf die weltweite Ausnahmestellung des Birdland-Jazzclubs hingewiesen und versucht, dem Publikum sein „Moving People“-Projekt näherzubringen – für ihn eine Herzensangelegenheit. Was Del Frau zusammen mit seiner „Söhne“-Band um den Trompeter Tomasz Dabrowski, den Saxofonisten Jan Prax, den Pianisten Carl-Henri Morisset, den Drummer Nicolas Fox sowie den wunderbaren Gitarristen Kurt Rosenwinkel weitgehend vom Notenblatt spielt, das soll in erster Linie an die Empathie und die Mitmenschlichkeit appellieren. Es beleuchtet vor allem das Schicksal jener, die nicht mehr in ihrer Heimat leben (können). Natürlich geht es dabei auch um ihn selbst, aber vor allem um andere, die fliehen und alles Liebgewonnene hinter sich lassen müssen. Was Wunder, dass das Titelstück „Moving People“ mit jeweils grandiosen instrumentalen Einwürfen von Rosenwinkel und Morisset zum erklärten Höhepunkt des Abends gerät. Sowohl der Gitarrist wie auch der Pianist segeln mit unterschiedlichem Flügelschlag durch die Traum-Ballade und der Abendsonne entgegen.
Ihm gehe es um wichtige, aber auch oft sehr traurige Themen, erklärt Riccardo Del Fra. Deshalb sei es sein Ziel, neue Energie und Hoffnung zu verbreiten. „Wir wollen mit unserer Musik Dinge ausdrücken, die die Leute sehr berühren, ihnen aber auch zugleich Kraft geben, reagieren zu können.“ Das tun sie, im zweiten Teil mehr als im etwas starren ersten Teil, mit Titeln wie „The Sea Behind“ oder „Children Walking (Through A Minefield)“. Jedes Solo offenbart allerhöchste Qualität und Originalität. Allerdings mangelt es in manchen Stücken an der Bindung zwischen den einzelnen Polen. Das Resultat: Ein ziemlich unruhiges, mitunter abruptes Verschieben der Schwerpunkte. Drummer Nicolas Fox muss sogar einige Mal vor der besonderen Akustik des Hofapothekenkellers kapitulieren, die mehr Dosierungsgeschick als brachiale Gewalt verlangt.
Trotzdem überwiegen die Momente, die man im Langzeitgedächtnis speichern mag. Etwa wenn Pianist Carl-Henri Morisset das letzte Stück des regulären Konzertes mit einer Adaption von Thelonious Monks „Letʼs Call This“ einleitet, die der Meister selbst nicht schrulliger, verdrehter und bluesiger hinbekommen hätte. Auch das Besondere des Abends bleibt haften: Hier geht es weniger um Nabelschauen, um instrumentale Ego-Trips, sondern um Botschaften und die persönliche Haltung. Eine der vielen, wunderbaren Facetten des Jazz.