Renaud Garcia Fons & Jean Louis Matinier | 25.02.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Vergessen Sie alles, was sie bislang mit dem Begriff „Duo“ verbanden. Vergessen Sie den Jazz mit seinem starr reglementierten Ablauf, vergessen Sie das klassische Rollenverständnis der Instrumente, bei dem Bläser grundsätzlich im Spotlight, ein Bass dienend im Hintergrund und ein Akkordeon sowieso völlig außen vor stehen mussten.

Wenn Sie es schaffen, all dies zu vergessen, wenn Sie sich von Normen und Klischees lösen, dann erst werden Sie Renaud Garcia-Fons und Jean-Louis Matinier richtig entdecken können. Die beiden französischen Jugendfreunde erfüllen sich seit dem vergangenen Jahr einen langgehegten Wunsch: zu zweit die Grenzen der Musik auszuloten. Zuerst mit ihrer CD „Fuera“, nun in Konzerten vor einem stets begeisterten wie fassungslosen Publikum, und zuletzt auch im Neuburger „Birdland“-Jazzclub, der solcherlei Zauberklänge in seiner 42jährigen Geschichte bislang noch nicht erlebt hatte.

Der Bassist und der Akkordeonist müssen lange an diesem besonderen Sound gefeilt haben, an Verhältnissen, Atmosphären und Räumen. Doch irgendwie wirkt das Miteinander der beiden einst domestizierten Instrumente vom ersten Ton an wie eine organische Synthese voller ursprünglicher Wildheit. Garcia-Fons und Matinier stehen für Essenz und Vision, Statement und Aufbruch, sie kredenzen ein aberwitziges Gemenge der mitteleuropäischen und nordafrikanischen Kultureinflüsse, radikal in der Abkehr von amerikanischen Mustern und eigenständig in der Fusion zweier starker musikalischer Charaktere.

Wer sich im Hofapothekenkeller auf eine passgenau Kopie der furiosen Platte freute, sah sich auf`s Angenehmste überrascht. Wie bei einem lockeren Jam stellten sich die beiden virtuosen Gallier auf eine völlig neue, unbekannte Plattform, nahmen sich an den Händen, begannen zu laufen und hoben einfach ab. Was dann folgte, überfordert beinahe jedes akustische Wahrnehmungsvermögen und die menschliche Phantasie. Wilde Jagden und tanzhafte Tändeleien stehen neben düsteren Meditationen und folkloristischen Impressionen.

Der Kontrabass verwandelt sich in Stimme, Geige, Cello und Gitarre und bekommt elegische, melancholische, berserkerhaft vitale Qualitäten. Renaud Garcia-Fons lässt den Bogen wie ein Springteufelchen auf dem Steg herumfedern, während er dazu mit der Linken die aberwitzigsten Partituren greift („San Lúcar“). Das Akkordeon wird derweil zur Orgel, Mundharmonika oder Flöte und umkreist die Melodien mit schlängelnden Linien und perkussiv abrupten Akkorden. Dieser Jean-Louis Matinier entstaubt den oft als Schifferklavier verschmähten Blasebalg wie kein anderer vor ihm und setzt gerade in Stücken wie „Dernière Route“ zeitlose Maßstäbe für jeden prominenteren Kollegen.

Niemand vermag der unglaublichen Zentrifugalkraft dieser Musik zu entrinnen. Innerhalb von mehr als zwei Stunden zieht sie einen immer tiefer hinab in einen Strudel aus Träumen und Wünschen, Erinnerungen und Perspektiven, aus umherschwirrenden Notenwerten und stilistischer Schwerelosigkeit. Ein atemberaubender Höhenflug voller sinnlicher Posie, der leider schon nach vier Zugaben auf dem harten Boden der Realität endete.