Regina Carter Quintet | 11.10.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Es ist diese selbstverständliche Art, mit der Regina Carter sich einfach ins Zentrum einer brodelnden Bop- und Bluesmaschine stellt und den Part des Saxofonisten ausfüllt. Ausgerechnet mit einer Violine.

Sie streicht über den Holzkorpus, als würde sie ins Horn blasen: Growls, Dirty Notes, elegische Schreie, gehauchtes Flüstern. „Imagine my Frustration“ ist der Titel des Songs, den Ella Fitzgerald einst über die bitteren Enttäuschungen eines Mädchens schrieb, die sich zum Tanz aufgebrezelt hatte, aber von keinem Jungen angesprochen wurde. Kurz vor der Pause trägt Regina Carters Geige im aufmerksamen Neuburger „Birdland“-Jazzclub genau diesen leicht beleidigten Tonfall, im Inneren tief verletzt, aber allemal den weiblichen Schein wahrend. Und irgendwie inszeniert sie damit auch ein wenig ihre eigene Geschichte.

Seit Anfang der 90er Jahre versucht die attraktive wie begabte Musikerin die Quadratur des Kreises, nämlich ausgerechnet die edle, zarte Violine im rauen, ungehobelten Zirkel des Jazz zu emanzipieren. Trotz aller geigender Genies von Joe Venuti bis Zbigniev Seifert, von Stéphane Grappelli bis Jean Luc Ponty galt der gedrechselte Kasten dort bis dato leider immer noch als Außenseiter. Ein Instrument für Europäer, der Klassik, der Kaffeehaus- und Zigeunermusik, für weiße Amerikaner, die es als Country-Fiedel benutzen, oder ein klangmalerisches Vehikel für Avantgarde-Freaks.

Nun aber ist das Eckige inzwischen tatsächlich ein wenig rund. Dank einer Afro-Amerikanerin aus Detroit sowie ihrer Vielseitigkeit, ihrer exorbitanten Technik, ihren blitzgescheiten Einfälle, ihrer originellen Phrasierung, ihrem natürlich bluesigen Sound und ihrem hinreißenden Swing.

Regina Carter kitzelt oder schneidet die Saiten, ihr Strich variiert geschickt zwischen perkussiver Bogenführung und erzählendem Gestus, ohne dabei auch nur in die Nähe der sattsam bekannten Geigenklischees zu geraten. Denn immer wenn das Publikum im Hofapothekenkeller, etwa bei „Black Orpheus“, glaubt, im Rotweinnebel den seligen Helmut Zacharias wahrzunehmen, dann zerstört Carter mit so unglaublich harter, variantenreicher, im positiven Sinne krummer Bogenführung diese typische deutsche Erwartungshaltung, dass man vor Freude fast schon aufschreien möchte.

Eine Art musikalischer Quantensprung, begünstigt durch eine Band, die sich als eine der homogensten seit Jahren im „Birdland“ präsentiert. Pianist David Budway erweist sich als wahres Schatzkästlein an unentdeckten Harmonien und spritzigen, soulgetränkten Läufen, die kubanische Perkussionistin Myra Casales beamt Milt Jacksons Edel-Standard „For someone I love“ mitten nach Havanna, Bassist Chris Lightcap knüpft viele unsichtbare Bänder und Schlagzeuger Alvester Garnett hat sich mit seiner achtminütigen Performance in „Prey Loop“ definitiv in die Top Five der ewigen Birdland-Drumsolo-Rangliste und die Herzen der Fans gespielt.

Die Chefin gewährt ihnen allen nur erdenklichen Raum, nimmt sich dabei selbst zurück. Um irgendwann ganz unscheinbar entweder zupfend im Tango-Wiegeschritt zurückzukommen oder mit einer traumhaften Interpretation von Debussys „Rèverie“ sämtliche Bewegungen, jedes Atmen im Keller für ein paar Sekunden zu unterbinden. Wie beim großen schwarzen Geiger Stuff Smith führt Regina Carters Weg direkt zum swingenden und boppenden Hauptstrom, wo man die Geige einmal als so selbstverständlich empfinden wird wie Posaune oder Vibrafon. Schon allein dafür müsste man ihr ein Denkmal setzen.